Neue Hoffnung für ALS-Patienten: Antisense-Therapie zeigt erste Erfolge bei genetischer Form
Eine multizentrische Fallserie deutet darauf hin, dass ein bestimmter, genetisch bedingter ALS-Typ erfolgreich mit Antisense-Oligonukleotiden behandelt werden könnte. Ein früher Therapiebeginn scheint dabei für den Erfolg entscheidend sein.
Jetzt gibt es berechtigte Hoffnung, dass nun für eine Gruppe der Betroffenen mit genetischer ALS eine wirksame Therapie zur Verfügung stehen könnte. Es handelt sich um die Patientinnen und Patienten, bei denen die Erkrankung auf eine Mutation im sog. FUS-Gen zurückzuführen ist, das bei der DNA-Reparatur und dem RNA-Metabolismus beteiligt ist. Diese Mutationen gehen mit einer sehr aggressiven Erkrankungsform einher, die oft bereits in jüngeren Jahren auftritt (die Erkrankung beginnt häufig erst nach dem 65. Lebensjahr). Die Mutationen auf dem FUS-Gen führen zu einer „Gain-of-Function“-Toxizität, in Folge derer es zu einer Bildung unlöslicher Proteinaggregate kommt, welche wiederum den Neuronenuntergang verursachen.
Zwölf Patientinnen und Patienten (median 26 Jahre alt, 58 % weiblich) wurden in ein Studienprogramm an fünf Standorten (vier Krankenhäuser in den USA und eines in der Schweiz) aufgenommen. Alle hatten eine FUS-Variante und wiesen klinische Anzeichen einer beginnenden Motoneuronerkrankung oder elektrophysiologische Anomalien auf, sofern keine ALS diagnostiziert wurde. Die Beatmung über Tracheostoma war ein Ausschlusskriterium. Die Studienteilnehmenden erhielten über einen Zeitraum von 2,8 – 33,9 Monaten Jacifusen. Da ASOs die Blut-Hirn-Schranke nicht passieren können, wird das Medikament intrathekal (d. h. in den in den Liquorraum) injiziert. Die Dosis wurde mit dem Vorliegen neuer Sicherheitsdaten im Studienverlauf hochtitriert – von anfangs 20 mg bis 120 mg, wobei die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die zuletzt in die Studie aufgenommen wurden, von Beginn an monatlich eine Dosis von 120 mg erhielten. Die Sicherheit wurde anhand der „Common Terminology Criteria for Adverse Events“, Version 4.0, und anhand von Standardmessungen der Liquorflüssigkeit (CSF) bewertet. Die Konzentration der Neurofilament-Leichtkette (NfL) im Liquor wurde als Biomarker für axonale Schädigung und Neurodegeneration verwendet, und der „ALS Functional Rating Scale-Revised“ (ALSFRS-R) Score wurde als Gesamtmaß für die motorische Funktion herangezogen. Im Studienverlauf kam es zu zwei Todesfällen, die nach Ansicht der Studienautorinnen und -autoren aber nicht mit dem Prüfpräparat in Zusammenhang standen. An postmortalem ZNS-Gewebe wurden biochemische Analysen und immunhistochemische Färbungen durchgeführt, um die FUS-Proteinexpression zu quantifizieren und die Belastung durch die FUS-Pathologie zu bewerten.

Die NfL-Konzentration im Liquor wurde nach sechsmonatiger Behandlung um bis zu 82,8 % gesenkt – und könnte, so die Expertinnen und Experten, als Surrogatmarker für die ALS-Progression herangezogen werden. Biochemische und immunhistochemische Analysen von ZNS-Gewebeproben von vier Teilnehmern zeigten reduzierte FUS-Proteinspiegel und eine offensichtliche Abnahme der Belastung durch FUS-Pathologie.
Bei den meisten Teilnehmenden kam es nach Beginn der Behandlung mit Jacifusen zwar weiterhin zu einer funktionellen Verschlechterung (gemessen anhand des ALSFRS-R), aber bei einer Teilnehmerin wurde nach zehn Monaten eine objektive funktionelle Erholung dokumentiert. Sie war mit 16 Jahren die jüngste Patientin in der Fallserie und erhielt die Therapie früh im Krankheitsverlauf. Ein weiterer Patient war zu Studienbeginn asymptomatisch und blieb es über drei Jahre, wobei auch eine Verbesserung der elektromyografischen Anomalien dokumentiert wurde. Aufgrund dieser Ergebnisse und der relativ guten Verträglichkeit, sollen nun Phase-2- und -3-Studien aufgelegt werden.
Hintergrund:
Die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine fortschreitende Erkrankung des motorischen Nervensystems, sie geht mit der Degeneration der motorischen Nervenbahnen (sogenanntes erstes und zweites Motoneuron) einher. Die Prävalenz in Deutschland beträgt ca. 3-8 von 100.000 Menschen, die Inzidenz (Neuerkrankungsrate) liegt jährlich bei 2-3 pro 100.000. Damit ist die ALS gar nicht so selten, wie viele denken. Die Inzidenz der Multiplen Sklerose, beispielsweise, beträgt 3,5 pro 100.000. Doch das Besorgniserregende ist: Die ALS-Neuerkrankungsrate scheint stetig anzusteigen. Sie erhöhte sich in Europa von 2,83 pro 100.000 Einwohner im Zeitraum 1995 bis 2004 auf 3,23 im Zeitraum 2005-2014
Original Paper:
Antisense oligonucleotide jacifusen for FUS-ALS: an investigator-initiated, multicentre, open-label case series – The Lancet
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Redaktion: X-Press Journalistenbürö GbR
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