NACHGEFRAGT: “Meine Vermutung ist, dass die Begrüßung des GOÄneu-Entwurfes der einfachste Weg für Frau Warken war”
Er berichtet über Drohungen gegen Delegierte des Ärztetages in Leipzig, und vermutet eine Gesundheitsministerin ohne Alternative zur abgesegneten GOÄ-Novelle: Priv.-Doz. Dr.med. Matthias Orth ist Arzt für Laboratoriumsmedizin Medizinhygiene, Hämostaseologie F.E.B.M.B. Orth und Chefarzt des Instituts für Laboratoriumsmedizin, Vinzenz von Paul Kliniken gGmbH, Marienhospital Stuttgart – und spricht im Rahmen der MedLabPortal Interviewreihe NACHGEFRAGT Klartext.
MedLabPortal: Herr Dr. Orth, wie bewerten Sie die Verabschiedung der neuen GOÄ durch den Ärztetag in Leipzig?
Orth: Die Verabschiedung kam nicht ganz unerwartet. Einerseits nachdem in der letzten Zeit sehr viel Druck auf die Delegierten aufgebaut worden ist mit Drohungen, falls die GOÄneu abgelehnt würde und andererseits, weil die Mehrzahl der Delegierten Hausärzte sind, die sich als Gewinner fühlen, oder angestellte oder pensionierte Ärzte, die von der GOÄneu nicht unmittelbar betroffen sind. Das Ansinnen der PKV zu einer Eindämmung der Behandlungskosten ist verständlich, aber der Ansatz, wonach die überweisungsgebundenen Fächer weit unter die Gestehungskosten abgewertet werden sollen, hat keine Bedeutung für die angeforderte Menge an beauftragten Röntgen- und Laborleistungen. Vielmehr ist sogar zu befürchten, dass die technischen Leistungen, die (fiktiv) eigenerbracht werden, sogar noch zunehmen werden und so die Behandlungskosten weiter steigen. Geradezu pervers wirkt es, wenn als Besonderheit bei den überwiesenen Leistungen künftig nur dann ein Liquidationsanspruch besteht, wenn nicht nur – wie in der Ärzteordnung vorgegeben — eine medizinische Notwendigkeit vorliegen muss, sondern die Labormediziner (aber nicht die Eigenerbringer) sich explizit bei jeder angeforderten Laborleistung nochmals mit der Diagnose / Fragestellung auseinandergesetzt haben. Das bedeutet ja, dass wir die Untersuchungen durchführen müssen, weil das sonst unterlassene Hilfeleistung wäre, aber ggf. keinen Liquidationsanspruch haben.
MedLabPortal: Rund 40 Fachgesellschaften baten im Vorfeld um mehr Raum für Diskussionen. Wieso hat man diesem Wunsch nicht entsprochen?
Orth: Das Problem war, dass sich die BÄK und der PVS-Verband auf die Ausgabenneutralität mit der neuen Gebührenordnung geeinigt hatten. Dies bedeutet, dass jede Höherbewertung einer Leistung mit einer Niedrigerbewertung einer anderen Leistung kompensiert werden musste. Bei einigen Fachgesellschaften wurden da noch kleine Veränderungen eingepflegt, die z.B. Korrekturen von Schreibfehlern. Dazu gab es Gespräche mit der BÄK, wobei die Labormedizin erst zum letzten Termin geladen wurde und von unseren konkreten Anmerkungen keine einzige akzeptiert wurde.
Es war schon zu Beginn der GOÄneu-Verhandlungen beschlossen worden, die sprechende Medizin auf Kosten der technischen Fächer zu stärken. Dies ist auch in den ersten Versionen der neuen GOÄ mit Sachverstand erfolgt (mit großem Einsatz durch Prof. Krieg) und angelehnt an eine betriebswirtschaftliche Kalkulation, wenn auch mit nicht unerheblichen Verlusten gegenüber der GOÄ1996. Fatalerweise wurde dann aber von der BÄK beschlossen, das Labor und die Radiologie nochmals, um ~30%, abzuwerten. Damit wurde die betriebswirtschaftliche Kalkulation komplett verlassen und es wurden darüber hinaus auch die erhebliche Inflation der letzten 10 Jahre nicht berücksichtigt. Diese massive Abwertung ist umso unverständlicher, da es sich hier ja v.a. um Kostenersatz für Geräte, Energie, Reagenzien und Lohnkosten der Mitarbeiter handelt, also Fixkosten, und nicht um ärztliches Honorar.
Ein Geburtsfehler der GOÄneu ist, dass der Paragraphenteil gar nicht mit den Fachgesellschaften diskutiert wurde und sämtliche Vorschläge zur Verbesserung abgebügelt wurden. Gerade für die Mengensteuerung im Laborkapitel hatten wir einige Vorschläge gemacht, die aber – vermutlich aus einer Klientelpolitik – nicht weiterverfolgt wurden. So hatten wir diverse Lösungen zur gezielten, wirtschaftlichen Anforderung gemacht und auch eine angemessene Förderung der Notfallversorgung vorgeschlagen, was aber von der BÄK nicht angenommen wurde.

MedLabPortal: Faktisch hat der Ärztetag die Belange der Labormedizin komplett ignoriert. Was sind jetzt die konkreten Folgen?
Orth: Die Folgen sind mehrfach. Vor dem demographischen Hintergrund und der Inflation ist eine so deutlich Abwertung der GOÄ dramatisch und eine Kompensation durch weitere Zentralisierung und Rationalisierung ist unmöglich. Es ist zu erwarten, dass es ungewollt zu Einbußen in der Qualität und der Verfügbarkeit von Laborleistungen kommt und somit zu einer schlechteren Patientenversorgung und eingeschränkten Patientensicherheit. Gerade für die Akutmedizin und die Krankenhauslaboratorien wird die extreme Abwertung im Kapitel MII zu sehr starken Erlösminderungen für die Einrichtungen führen. Bei den outgesourceten Laboratorien ist zu erwarten, dass hier sehr deutlichen Preissteigerungen zu Lasten der Kostenträger zu erwarten sind.
MedLabPortal: Und ganz konkret: Was wird sich für Sie, für Ihre Arbeit im Krankenhaus ändern?
Orth: Bislang konnte die Qualität im Labor durch Effizienzanpassungen und finanziert durch die Erlöse gehalten werden. Wenn jetzt die GOÄ-Erlöse drastisch reduziert werden, müsste dies über die anderen Kostenträger kompensiert werden, was aber nur fraglich geschieht. In der Folge steigt der wirtschaftliche Druck weiter und die Möglichkeiten, dem Nachwuchs Perspektiven bieten zu können, wird dadurch sehr deutlich vermindert.
MedLabPortal: Die Ärzteschaft scheint aber derart gravierende Folgen zu ignorieren. Ist das System der Selbstverwaltung, innerhalb dessen die Ärzteschaft selbst über Gebühren entscheidet, somit nicht obsolet geworden?
Orth: Die Entscheidung für die neue GOÄ erfolgte jetzt ja schon erst nach dem Einvernehmen mit der PKV und so nicht durch die Selbstverwaltung alleine. In der Selbstverwaltung sind die kleinen Fächer besonders gefährdet unter die Räder zu kommen, wie wir es aktuell hier bei uns sehen. Interessant und schwer zu verstehen ist, dass bei den ja identischen Laboruntersuchungen beim Tierarzt (GOT) oder im Gebührenverzeichnis für Heilpraktiker (GebüH) (wobei letztere Leistungen ja von der Beihilfe vergütet werden) ein mehrfacher Preis des GOÄneu Wertes als angemessen erachtet wurde.
MedLabPortal: Die neue Gesundheitsministerin, Nina Warken, hat die Verabschiedung aber explizit begrüßt. Wir fragen bewusst provokativ: Sind solche Bekundungen aus ihrer persönlichen Meinung heraus Diplomatie, oder eher Anzeichen von Ahnungslosigkeit?
Orth: Meine Vermutung ist, dass die Begrüßung des GOÄneu-Entwurfes der einfachste Weg für Frau Warken war. Wenn sie den Entwurf abgelehnt hätte, müsste sie ja eine Alternative anbieten. Interessant wäre die Reaktion von Frau Warken gewesen, wenn die BÄK eine Erhöhung der Steigerungssätze empfohlen hätte, um so für die Ärzte mit der alten GOÄ einen Inflationsausgleich zu erreichen. Leider hat die BÄK dies aber nicht gemacht.
MedLabPortal: Unsere letzte Frage: Was können Labormediziner jetzt noch tun?
Orth: Noch ist die GOÄneu nicht verabschiedet und wir hoffen, über das BMG noch Änderungen am Paragraphenteil einbringen zu können und so sowohl eine Mengensteuerung zu erreichen zum Nutzen der PKV und die Preise für die Einzelleistungen auf eine betriebswirtschafliche Grundlage zu bekommen.
MedLabPortal: Herr Dr. Orth, vielen Dank für Ihre Zeit.
Die Fragen stellte Vlad Georgescu
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Redaktion: X-Press Journalistenbürö GbR
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