Bahnbrechende Studie über die medizinische Labordiagnostik in Deutschland erschienen
Der Mediziner Michael Vogeser ist Professor am Institut für Laboratoriumsmedizin der LMU KLINIK und Vorsitzender der Ad-hoc Kommission IVD der AWMF. Der in München lehrende Arzt ist auch Mitglied der DGKL, wo er sich im Bereich klinische Massenspektrometrie einsetzt. Sein wissenschaftlicher Schwerpunkt liegt seit über 20 Jahren in der Translation massenspektrometrischer Analysetechniken in die Routinediagnostik. Jetzt hat Vogeser gemeinsam mit seinen Forschungskollegen Timo Schumacher und Frank Brühling im Fachblatt German Medical Science eine bahnbrechende Arbeit publiziert – sie ist die bundesweit umfangreichste wissenschaftliche Publikation mit aktuellen Daten über die Labormedizin in Deutschland. Das Dokument bietet einen umfassenden Überblick über die Strukturen und Prozesse der medizinischen Labordiagnostik in Deutschland sowie deren Bedeutung für die Gesundheitsversorgung. MedLabPortal fasst das Paper nachfolgend für Sie zusammen.

Hintergrund und Ziel der Arbeit
Die Arbeit untersucht die Rolle der Labordiagnostik in der medizinischen Versorgung in Deutschland und analysiert die aktuelle Versorgungssituation sowie Entwicklungsperspektiven. Ziel ist es, ein umfassendes Bild der In-vitro-Diagnostik (IVD) zu vermitteln und deren Bedeutung für die medizinische Praxis zu verdeutlichen.
- Labordiagnostik ist eine zentrale Säule der evidenzbasierten Medizin.
- Die Analyse basiert auf öffentlich zugänglichen Daten, einschließlich Gesundheitsberichterstattung und Statistiken.
- Die Arbeit ist ein Follow-up einer Vor-Erhebung.
Aktuelle Versorgungssituation in Deutschland
Die Labordiagnostik in Deutschland ist stark sektorenübergreifend organisiert und wird von verschiedenen Fachärzten und medizinischen Einrichtungen durchgeführt. Die Versorgung erfolgt durch niedergelassene Laborärzte, Kliniken und medizinische Versorgungszentren (MVZs).
- Ca. 1.200 Fachärzte für Labormedizin und 840 für Mikrobiologie sind tätig, was 0,7% aller Fachärzte entspricht.
- Rund 108.000 Personen arbeiten in medizinischen Laboratorien, was 1,8% des gesamten Gesundheitspersonals ausmacht.
- Jährliche Ausgaben für Labordiagnostik betragen ca. 12,9 Mrd. Euro, was 2,6% der Gesamtausgaben des Gesundheitswesens entspricht.
Rolle der Fachärzte in der Labordiagnostik
Fachärzte für Laboratoriumsmedizin und Mikrobiologie spielen eine entscheidende Rolle in der Labordiagnostik, wobei der Frauenanteil in diesen Fachgebieten bei etwa 44% liegt. Die Altersstruktur zeigt, dass ein erheblicher Teil der Fachärzte über 60 Jahre alt ist.
- 33% der Fachärzte sind älter als 60 Jahre, im Vergleich zu 23% in der gesamten Fachärzteschaft.
- 1.378 Ärzte sind in der vertragsärztlichen Versorgung in der Fachgruppe „Laboratoriumsmedizin/Biochemie/Mikrobiologie“ tätig.
Personal in medizinischen Laboratorien
In medizinischen Laboratorien sind sowohl wissenschaftliches als auch nicht-wissenschaftliches Personal beschäftigt, wobei der Anteil der Fachkräfte in den letzten Jahren gesunken ist. Die Anzahl der Vollzeitäquivalente in medizinischen Laboren ist gestiegen, jedoch ist der Anteil der Fachkräfte zurückgegangen.
- 2022 waren 77.000 Vollzeitäquivalente in medizinischen Laboratorien verzeichnet, davon 50.000 Fachkräfte.
- Der Anteil der Vollzeit beschäftigten Fachkräfte sank von 55% (2012) auf 47% (2022).
Kliniken und ambulante Versorgung
Die labordiagnostische Versorgung in Kliniken und im ambulanten Sektor erfolgt durch eine Vielzahl von Fachabteilungen und Laborpraxen, wobei die ambulante Versorgung überwiegend von fachärztlichen Einsendelaboren gewährleistet wird. Die Transportlogistik spielt eine zentrale Rolle in der Versorgung.
- 331 Krankenhäuser haben eine Fachabteilung für Laboratoriumsmedizin.
- In ambulanten Laborpraxen sind oft mehrere Fachärzte tätig, häufig in Form von MVZs.
Finanzielle Aspekte der Labordiagnostik
Die Ausgaben für Labordiagnostik sind in den letzten Jahren gestiegen, wobei gesetzliche Krankenversicherungen den größten Anteil der Kosten tragen. Die Kosten pro Person für Labordiagnostik liegen bei etwa 150 Euro jährlich.
- Ausgaben für Laborleistungen betrugen 2022 insgesamt 12,9 Mrd. Euro.
- 65% der Ausgaben für Laborleistungen werden von gesetzlichen Krankenversicherungen getragen.
Finanzierung des Laborbetriebs in Kliniken
Die Finanzierung des Laborbetriebs in Kliniken erfolgt über Fallpauschalen im DRG-System, wobei Laborleistungen in die Gesamtkosten der Behandlung integriert sind.
- Kliniken erhalten Fallpauschalen basierend auf Diagnose-Profilen.
- Laborleistungen sind Teil der Gesamtkosten, nicht separat aufgeschlüsselt.
- Interne Verteilung der Erlöse hängt von Krankenhausverhandlungen und Budgets ab.
- Typischerweise betragen die Laboraufwendungen etwa 2% der Gesamtkosten einer Klinik.
Vergütung von Laborleistungen für Vertragsärzte
Niedergelassene Laborärzte rechnen ihre Leistungen über den EBM ab, während privat Versicherte nach der GOÄ abgerechnet werden.
- Vertragsärzte erhalten Vergütung gemäß EBM, der regelmäßig aktualisiert wird.
- GOÄ enthält nicht alle Leistungen, daher werden Analogziffern verwendet.
- Kassenärztliche Vereinigungen verteilen Gelder der gesetzlichen Krankenkassen an Vertragsärzte.
- Der EBM wird vom Bewertungsausschuss beschlossen und umfasst verschiedene Versorgungsbereiche.
Qualitätssicherung in der Labordiagnostik
Die Qualitätssicherung in der Labordiagnostik wird durch Richtlinien und Gesetze geregelt, wobei die Rili-BÄK eine zentrale Rolle spielt.
- Rili-BÄK ist verbindlich und regelt Qualitätssicherungsmaßnahmen.
- Medizinproduktebetreiberverordnung fordert Qualitätssicherungssysteme für In-vitro-Diagnostika.
- Akkreditierung nach ISO 15189 ist weit verbreitet und wird von der DAkkS durchgeführt.
- Die Einhaltung der allgemeinen Qualitätsmanagement-Richtlinie des G-BA ist bindend.
Personalstruktur in der Labordiagnostik
Die Anzahl der Laborärzte und nicht-wissenschaftlichen Mitarbeiter in der Labordiagnostik zeigt einen Anstieg, jedoch gibt es Herausforderungen im Personalbereich.
- 1.206 Laborärzte und 845 Mikrobiologen in Deutschland (2023).
- 108.000 Personen arbeiten in medizinischen Laboren, 1,8% der gesamten Gesundheitsberufe.
- Der Anteil qualifizierter Mitarbeiter in Laboren ist von 55% auf 47% gesunken.
- Mangel an Fachkräften, insbesondere bei Medizinisch-technischen Laborassistenten (MTL).
Markt und Entwicklung der Diagnostika-Industrie
Die Diagnostika-Industrie in Deutschland zeigt ein hohes Marktvolumen, jedoch auch Herausforderungen durch den Rückgang der Coronadiagnostik.
- Marktvolumen der Diagnostika-Industrie 2022: 3,54 Mrd. Euro.
- 89,8% des Umsatzes entfallen auf Reagenzien, 10,2% auf Geräte und Service.
- 2021 wurden 4,1 Mrd. Euro mit Coronadiagnostik umgesetzt, 2022 nur 1,29 Mrd. Euro.
- 31.000 Personen sind in der Diagnostika-Industrie beschäftigt.
Herausforderungen und Perspektiven in der Labordiagnostik
Die Labordiagnostik steht vor Herausforderungen wie Fachkräftemangel und der Notwendigkeit zur Anpassung an neue Technologien.
- Zunehmender Mangel an Fachkräften in der Labordiagnostik wird erwartet.
- Die Einführung elektronischer Patientenakten könnte die Prozesse verändern.
- Innovative Verfahren wie Massenspektrometrie gewinnen an Bedeutung.
- Die Rolle von internationalen Finanzinvestoren in der Labordiagnostik wird kritisch betrachtet.
Kliniken und Labormedizin
Die Laborversorgung in Kliniken zeigt eine signifikante Abhängigkeit von externen Laboren, insbesondere in großen Krankenhäusern, wo 67% über eine Fachabteilung für Labormedizin verfügen. Die Qualitätssicherungsrichtlinien erfordern die ständige Verfügbarkeit von Laborärzten in verschiedenen Diensten.
- Insgesamt 1.893 Krankenhäuser in Deutschland, 1.128 mit Fachabteilungen ohne Betten.
- 331 Krankenhäuser (17%) haben eine Fachabteilung für Labormedizin.
- 67% der Krankenhäuser mit über 600 Betten haben eine Fachabteilung für Labormedizin.
- Externe Laborversorgung ist in großen Kliniken verbreitet.
- G-BA-Richtlinien verlangen ständige Verfügbarkeit von Laborärzten in bestimmten Diensten.
Ambulante Labordiagnostik
Die ambulante Labordiagnostik wird hauptsächlich durch spezialisierte Labore und medizinische Versorgungszentren (MVZ) bereitgestellt, die oft mehrere Fachärzte beschäftigen. Die Logistik für den Transport von Proben ist entscheidend für die Effizienz dieser Einrichtungen.
- Ambulante Labore beschäftigen häufig 5-10 Fachärzte, darunter Laborärzte und Mikrobiologen.
- 55% des Umsatzes im Laborbereich stammen von kommerziellen Laboranbietern.
- 9 Millionen Laborergebnisse werden täglich in Deutschland produziert.
- MVZs versorgen mehrere Hundert Arztpraxen und Kliniken.
- Transportlogistik ist zentral für die Effizienz der Labore.
Kosten und Finanzierung der Labordiagnostik
Die Ausgaben für Labordiagnostik betrugen 2022 insgesamt 12,9 Milliarden Euro, was 2,6% der Gesamtausgaben im Gesundheitswesen entspricht. Statutory Health Insurance (SHI) deckt 65% der Ausgaben für Laborleistungen.
- Pro-Kopf-Ausgaben für Labordiagnostik: ca. 150 Euro/Jahr.
- Ausgaben stiegen um 55% von 2012 bis 2022.
- SHI trägt 65% der Laborausgaben, private Krankenversicherung 19%.
- Kliniken erhalten Pauschalen im DRG-System, Laborleistungen sind nicht separat ausgewiesen.
Qualitätssicherung in der Labormedizin
Die Qualitätssicherung in der Labormedizin erfolgt durch Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Klinische Chemie und Laboratoriumsdiagnostik (Rili-BÄK) und durch Akkreditierungen. Die Einhaltung dieser Richtlinien ist für die Qualität der Laboruntersuchungen entscheidend.
- Rili-BÄK ist eine verbindliche Richtlinie für die Qualitätssicherung.
- 1.370 Stichproben- und Dokumentationsprüfungen wurden 2022 durchgeführt.
- Akkreditierung nach ISO 15189 ist weit verbreitet.
- Die Einhaltung der Rili-BÄK wird von den KVen überwacht.
Herausforderungen und Zukunft der Labordiagnostik
Die Labordiagnostik steht vor Herausforderungen wie dem Fachkräftemangel und der Notwendigkeit, innovative Technologien zu integrieren. Die zunehmende Automatisierung und Konsolidierung von Laboren könnte die Effizienz steigern, birgt jedoch auch Risiken.
- Anstieg der Laborärzte um 21% in 13 Jahren.
- Zukünftige Herausforderungen durch demografischen Wandel und Fachkräftemangel.
- Wachsende Bedeutung von Point-of-Care-Tests (POCT).
- Markt wird zunehmend von großen, internationalen Labornetzwerken dominiert.
- Notwendigkeit zur Integration neuer Technologien wie Massenspektrometrie.
Original Paper:
GMS German Medical Science 2025, Vol. 23, ISSN 1612-3174
Michael Vogeser1 Timo Schumacher2 Frank Bühling3
1 Institut für Laboratoriumsmedizin, LMU Klinikum, LudwigMaximilians-Universität München, Deutschland
2 Praxis Schumacher, Langer, Schumacher,Schwanewede, Akademische Lehrpraxis der Universität Göttingen und der Medizinischen Hochschule Hannover, Schwanewede, Deutschland
3 labopart– Medizinische Laboratorien, Dresden, Deutschland
Redaktion: X-Press Journalistenbüro GbR
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