“Mit der neuen Regelung zur Indikationsüberprüfung wird ein zusätzliches Bürokratiemonster geschaffen”

von | März 24, 2025 | Gesundheit, Nicht kategorisiert, Politik

Priv.-Doz. Dr.med. Matthias Orth ist Arzt für Laboratoriumsmedizin Medizinhygiene, Hämostaseologie F.E.B.M.B. Orth und Chefarzt des Instituts für Laboratoriumsmedizin, Vinzenz von Paul Kliniken gGmbH, Marienhospital Stuttgart. In einem Exklusivinterview sprach er mit MedLabPortal über die anstehende GOÄ-Novelle und deren Auswirkungen auf die Labormedizin.

MedLabPortal: Die neue GOÄ bringt Veränderungen, die für die Labormedizin besonders bedeutend sind. Es gibt neue Abrechnungscodes für fortgeschrittene Tests wie genetische Analysen, was die Finanzierung innovativer Labore verbessern könnte. Allerdings kritisiert der Berufsverband Deutscher Laborärzte (BDL) eine geplante 29-prozentige Abwertung diagnostischer Leistungen, die seit 2008 nicht aktualisiert wurden. Wie tangiert das Ihren Laboralltag im Krankenhaus?

Orth: Die aktuelle GOÄ beruht auf dem Jahr 1996. In den letzten 29 Jahren gab es eine deutliche Inflation, beispielsweise kostete 1996 ein Brief 1 DM und heute mit 95 Cent immerhin 86% mehr. Da ist es offensichtlich, dass die geplante Abwertung um 30% beim allerbesten Willen keinerlei rationale Grundlage erkennen lässt. Gerade bei den Personalkosten gab es sehr deutliche Zuwächse, die auch zwingend notwendig sind, um unsere vielen Mitarbeiter auch für die Zukunft im Fach zu behalten und so die Versorgung der Patienten sicherstellen zu können. Selbstverständlich sind auch die anderen Kosten wie für Reagenzien, Qualitätssicherung, Energie und Geräte in den letzten Jahren massiv gestiegen. Beispielsweise liegt die Vergütung einer chemischen Blutuntersuchung beim Heilpraktiker bei 6 Euro, beim Tierarzt bei 9,23 € – bei Untersuchung am Menschen nach der neuen GOÄ sind teilweise nicht einmal 40 Cent vorgesehen. Heilpraktikerleistungen werden von Beihilfe und PKV kritiklos erstattet, aber mit unseren ärztlichen Leistungen sollen wir dann weit unter Selbstkosten arbeiten!

MedLabPortal: Ein unerwarteter Aspekt ist, dass die Reform die Kosten für Digitalisierung und ländliche Labore nicht ausreichend berücksichtigt, was die Versorgungsqualität in diesen Bereichen beeinträchtigen könnte. Was müsste im Regelwerk hier anders lauten?

Orth: Ursprünglich war ja der Hintergedanke der GOÄ Reform eine belastbare betriebswirtschaftliche Kalkulation. Wenn hier ein “best case scenario” aus der Sicht der Kostenträger, d.h. möglichst optimale Bedingungen, als Grundlage genommen wurde, dann können diese günstigen Preise nicht einfach par ordre du mufti einfach so nochmals um 30% gekürzt werden. Selbstverständlich sollte sein, dass zusätzliche Leistungen wie die sehr aufwändigen Digitalisierungen in den Laboren oder der logistische Aufwand bei der Versorgung im ländlichen Raum bei der Kalkulation berücksichtigt werden. Labore gelten als kritische Infrastruktur und müssen daher einen immensen Aufwand z.B. für den Datenschutz und die Datensicherheit aufbringen.

MedLabPortal: Prof. Krieg hat der Bundesärztekammer recht minutiös Bepreisungen von Laborleistungen für die Neugestaltung der GOÄ vorgelegt. Was hat die BÄK davon übernommen?

Orth: Herr Prof. Krieg hat mit einem sehr großen Aufwand für mehr als 1200 Gebührenpositionen anhand von den echten Kosten für die Reagenzien, für die Abschreibung und für die Personalkosten des nichtakademischen und akademischen Personals für jede einzelne dieser Untersuchungen die Kosten durchgerechnet, und zwar jeweils für Laboratorien unterschiedlicher Größe und somit mit unterschiedlichen Serienlängen. Das Ergebnis war ein sehr detaillierter und robuster Vorschlag, der sowohl die Innovationen im Labor berücksichtigt hat und auch den Veränderungen in den letzten 30 Jahren Rechnung getragen hat. Übernommen wurden von seinen Vorschlägen allerdings nur die Benennung der Untersuchungen, aber leider nicht die, entscheidende, betriebswirtschaftliche Kalkulation. 

MedLabPortal: Kann es sein, dass BÄK-Präsident Reinhardt damit einfach überfordert ist?

Orth: Als Hausarzt mit einer großen Laborgemeinschaft ist Dr. Reinhardt mit Sicherheit bekannt, mit welchen Kosten Labore konfrontiert werden und was ein angemessenes laborärztliches Honorar wäre. Vielleicht ist ihm die Sichtweise des Zielauftrages ungewohnt. Im Gegensatz zu den meisten anderen Arztgruppen haben wir ja nicht die Möglichkeit, die Leistung von unlukrativen Untersuchungen einzuschränken oder in der Menge zu steuern. Die einsendenden Ärzte, egal ob in der Niederlassung oder im Krankenhaus, erwarten von uns ja die schnellstmögliche und qualitativ hochwertige Labormedizin und das möglichst rund um die Uhr.

Priv.-Doz. Dr.med. Matthias Orth, Arzt für Laboratoriumsmedizin Medizinhygiene, Hämostaseologie F.E.B.M.B. Orth ist Chefarzt des Instituts für Laboratoriumsmedizin, Vinzenz von Paul Kliniken gGmbH, Marienhospital Stuttgart. Foto: Privat
Priv.-Doz. Dr.med. Matthias Orth, Arzt für Laboratoriumsmedizin Medizinhygiene, Hämostaseologie F.E.B.M.B. Orth ist Chefarzt des Instituts für Laboratoriumsmedizin, Vinzenz von Paul Kliniken gGmbH, Marienhospital Stuttgart. Foto: Privat

MedLabPortal: Eine Neuerung in der GOÄ ist die angedachte Indikationsüberprüfung durch Laborärzte bei jedem Auftrag. Haben wir den BÄK-Plan richtig verstanden? Müssen Sie als Labormediziner in Zukunft checken, ob der Auftrag des niedergelassenen Arztes der medizinischen Indikation entspricht?

Orth: Der § 4 Abs. 2 S. 3 GOÄ-E führt aus, dass eine veranlasste oder selbst erbrachte Laborleistung in einem medizinisch plausiblen Kausalzusammenhang mit der zugrunde liegenden Diagnose oder Fragestellung stehen muss. Wir sehen diese Formulierung in der GOÄ neu in mehrfacher Hinsicht als  sehr problematisch an und versuchen schon seit 7 Jahren eine bessere Lösung zu erreichen. Einmal ist dieser Paragraph überflüssig, denn in der ärztlichen Berufsordnung ist schon verpflichtend festgelegt, dass nur geeignete Methoden angeordnet werden dürfen und der Patient vor einer Geschäftemacherei geschützt werden muss. Zweitens sagt die aktuelle Interpretation der BÄK vom 7.3.2025, dass derjenige, der die Leistung erbracht hat, keinen Liquidationsanspruch hat, wenn die Indikation nicht zu der Untersuchung passt. Regelmäßig wird der Auftrag ja als Zielauftrag an den Laborarzt geschickt, wir selber fordern ja nicht selbst die Untersuchungen an. Das bedeutet, dass wir künftig explizit bei jeder Anforderung die Verdachtsdiagnosen überprüfen müssten. Dies ist ein immenser Zeitaufwand und wir sind damit ständig an der Grenze zur unterlassenen Hilfeleistung, wenn wir die Untersuchung nicht durchführen, weil uns der Einsender keine passende Verdachtsdiagnose mitgeteilt hat, und dem Betrug, weil wir zum vermuteten Wohl des Patienten die angeforderte Untersuchung auf gut Glück durchgeführt haben. Drittens lässt sich der §4 auch so interpretieren, dass der medizinische Kausalzusammenhang nur verlangt wird für selbst erbrachte Leistungen (d.h. im Praxislabor) und für veranlasste Leistungen (d.h. beim Laborarzt), aber ein Freibrief besteht bei der fiktiven Selbsterbringung in der Laborgemeinschaft.

MedLabPortal: Wir haben uns eine Übersicht der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein angesehen (Laborreform – Überblick der Änderungen ab 1. Januar 2025). Für uns klingt das alles nicht gerade nach Bürokratieabbau. Benötigen Sie mittlerweile als Labormediziner für die geforderten Abrechnungsmodalitäten Fortbildungskurse?

Orth: Die Regelungen sowohl im kassenärztlichen wie auch im privatärztlichen Bereich sind schon recht tiefgehend und allermeistens auch sinnvoll. Mit der neuen Regelung zur Indikationsüberprüfung wird ein zusätzliches Bürokratiemonster geschaffen. Es sollte eigentlich Aufgabe der BÄK sein, durch sinnvolle Regelungen den Ärzten das Leben zu erleichtern und nicht bestimmte Arztgruppen  zu kriminalisieren. Dazu gehören auch unsinnige Pauschalenregelungen. So gibt es künftig in der GOÄ noch die 437 (in der neuen GOÄ die 1126),  die jeden Krankenhauslaborarzt und Intensivmediziner gegenüber dem §299a und b des StGB anfällig macht. Da die Labormedizin wie kein anderes Fach digitalisiert ist, ist die Begründung, dass die Pauschalen gegenüber einer Einzelaufstellung eine Erleichterung darstellen sollen, völlig aus der Zeit gefallen.

MedLabPortal: Patienten werden eine weitere Problematik kaum verstehen. Wie erklären Sie ihnen die Tatsache, dass die gleiche Blutprobe in der GOÄ abgewertet wird, im EBM aber vermutlich nicht – und dass zudem vollkommen unterschiedlich Preise für die gleiche Leistung zustandekommen?

Orth:  Die Logik im EBM2000 und in der GOÄ sind unterschiedlich, weil beispielsweise in der GOÄ das ärztliche Honorar mit der einzelnen Leistung vergütet wird und im EBM2000 das ärztliche Honorar und der Transport etc. separat vergütet werden. Auch ist der Aufwand für die Rechnungsstellung ganz unterschiedlich. Leider gibt es eine ganze Reihe von Leistungen nicht nur im Labor sondern z.B. auch in der Radiologie oder in der Endoskopie, wo alleine die Sachkosten höher sind als die Vergütung im EBM2000 — und wo nur durch die Quersubventionierung durch die GOÄ Patienten der GKV behandelt werden können. Völlig selbstverständlich darf der EBM2000 Kostenersatz da nicht als Grundlage der GOÄ Kalkulation verwendet werden!

MedLabPortal: Haben Sie für uns ein konkretes Beispiel aus dem Laboralltag, das die Problematik der aktuell angedachten GOÄ-Novelle aufzeigt?

Orth: Bereits heute arbeiten laut der öffentlich einsehbaren testierten Abschlüsse sehr viele große Labore gerade nur noch mit einer schwarzen Null, und das mit der Vergütung vor der EBM Reform. Wenn es zusätzlich auch im Bereich der GOÄ zu dieser massiven Abwertung kommt, müssen zwangsweise Leistungen eingeschränkt werden und die Patientenversorgung verschlechtert werden. Das betrifft gerade auch die Krankenhauslaboratorien, wo ja eine möglichst kurze Liegezeit angestrebt wird. Eine schnelle und qualitativ hochwertige Diagnostik bei einem massiven Einbruch bei der Vergütung sind ein offensichtlicher Widerspruch.

MedLabPortal: Die neue Bundesregierung hat insgesamt eine Billion Euro an Neuschulden als Sondervermögen eingeplant. Wieviel davon würden die Labormedizin im klinischen Alltag auf solide Beine aufstellen – wenn die GOÄ-Novelle so bleibt, wie sie derzeit geplant ist?

Orth: Sinnvoll wäre sicher, die Daseinsvorsorge und kritische Infrastruktur zu stärken. Beispielsweise sind ja für die Konsolidierung der Krankenhäuser zumindest zu Beginn Milliardenbeträge notwendig. Weiter besteht ja ein immenser Investitionsstau und die Logik, dass selbst bei geförderten Projekten ein Großteil der Kosten aus den Erlösen (die im Bereich der GOÄ Erlöse und 30% oder mehr abgesenkt werden) zu decken sind, ist einfach unmöglich. Es ist auch widersinnig, diese Beträge direkt von der GKV oder der PKV einzufordern bzw. zu erwarten, dass die Leistungserbringer diese riesigen Summen selbst erwirtschaften können. Da die Konsolidierung mit einem Bundesgesetz geregelt wird, muss konsequenterweise der Bund auch die Kosten übernehmen, z.B. aus dem Sondervermögen. Indirekt stärkt dies auch die Labormedizin, weil ja ansonsten der Kostendruck der Krankenhäuser unmittelbar an die Labore weitergeben würde.

MedLabPortal: Vielen Dank für Ihre Zeit.

Die Fragen stellten die MedLabPortal-Redakteure Marita Vollborn und Vlad Georgescu

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Redaktion: X-Press Journalistenbürö GbR

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