NACHGEFRAGT: “Ohne Labormedizin geht in der medizinischen Versorgung fast nichts”
Jan Wolter zählt zu den profiliertesten Sicherheitsexperten der Bundesrepublik. Er arbeitete in der Vergangenheit auf dem Gebiet der Cyber- und Spionageabwehr zum Schutz der deutschen Wirtschaft eng mit den führenden Sicherheitsbehörden BSI, BKA, BND und BfV zusammen. Heute ist Wolter Bevollmächtigter des Präsidiums der DGKL. Im Rahmen der Reihe NACHGEFRAGT sprach er mit MedLabPortal über die neue Bundesregierung unter Friedrich Merz – und den daraus resultierenden Erwartungen der Labormedizin in Deutschland.

MedLabPortal: Herr Wolter, was hat Sie an der kommenden Bundesregierung mehr überrascht: Die historische, fehlende Kanzlermehrheit im Bundestag für Friedrich Merz (CDU), oder der fehlende Begriff „Labormedizin“ im Koalitionsvertrag?
Wolter: Offen gestanden dann doch Ersteres. Ich hoffe, dass wir jetzt eine stabile Regierung haben – und dieser die Bedeutung der Labormedizin bewusst ist; dann kann ich es auch verschmerzen, dass der Begriff „Labormedizin“ nicht im Koalitionsvertrag steht.
MedLabPortal: Lassen Sie uns also bei der Labormedizin bleiben. Die für Gesundheit zuständige Arbeitsgruppe der Koalition hat offensichtlich den von der DGKL im vergangenen Jahr vorgestellten Nationalen Strategieplan entweder nicht gelesen, oder aber nicht verstanden. Würden Sie für unsere Leserinnen und Leser die Kernpunkte noch einmal kurz skizzieren?
Wolter: Der nationale Strategieplan zeigt auf, dass die Labormedizin als kritische Infrastruktur ausreichend und verlässlich finanziert sein muss, dass ihre Potenziale im Bereich Digitalisierung und KI gehoben werden müssen und sie gleichzeitig vor Cyber-Angriffen besonders zu schützen ist. Ferner muss die Labormedizin in nationalen Krisenstrukturen fest verankert sein und ihre Zukunft durch Förderung, insbesondere in der Forschung, sowie in der Aus- und Weiterbildung gesichert werden. Darüber hinaus sehen wir Handlungsbedarf in den Bereichen Entbürokratisierung und Nachhaltigkeit. In jedem Fall zeigt der Nationale Strategieplan auf: Ohne Labormedizin geht in der medizinischen Versorgung fast nichts.
MedLabPortal: Daraus ergibt sich doch, dass die Labormedizin als kritische Infrastruktur der gesamten Gesundheitsbranche eine besondere Beachtung verdient. Wie erklären Sie sich den „Missing Link“, um plakativ zu sein, im Koalitionsvertrag?
Wolter: Ich denke schon – um an Ihre vorherige Frage nochmals anzuknüpfen –, dass der Strategieplan in der Politik zur Kenntnis genommen wurde. Und es gibt sicherlich auch Abgeordnete, die verstanden haben, auf was es hier ankommt. Es passieren jedoch gerade gleichzeitig so viele unglaubliche, Dinge von unabsehbarer Tragweite – technologisch, politisch, militärisch, wirtschaftlich – da überrascht es mich nicht, wenn ein so kleines Rädchen wie die Labormedizin etwas untergeht. Gleichwohl, dass das gesamte Räderwerk zum Stehen kommt, wenn dieses kleine Rädchen ausfällt.
MedLabPortal: Fairerweise muss man aber auch sagen, dass Koalitionsverträge keine Gesetze darstellen. Die designierte Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) könnte sich demnach durchaus der Thematik annehmen. Wie wollen Sie die Ministerin in spe erreichen?
Wolter: Wir werden sie ganz offiziell anschreiben und unsere Unterstützung anbieten. Schließlich sind wir als wissenschaftliche Fachgesellschaft der Wissenschaft und Wahrheit verpflichtet – um es etwas pathetisch auszudrücken, aber genau so ist es. Will heißen, bei uns findet sie die geballte Fachexpertise – und wir sind kein kommerzieller Lobbyverein.
MedLabPortal: Dass Frau Warken im Bereich des Katastrophenschutzes bewandert ist, wäre demnach im Falle der Labormedizin ein Vorteil?
Wolter: Ich denke, Frau Warken ist eine erfahrene Politikerin, die sich schnell in neue Themen einarbeiten kann. Sicherlich kann es da helfen, dass sie in angrenzenden Gebieten bereits Erfahrung gesammelt hat. Letztlich ist das Gesundheitswesen jedoch ein so großes Feld, dass man immer Beratungsbedarf hat. Und bei allem, was mit Labormedizin zu tun hat, ist die DGKL die beste Anlaufstelle für die Gesundheitsministerin.
MedLabPortal: Der Schuh drückt aber auch in finanzieller Hinsicht. So ist die neue geplante Gebührenordnung der Ärzte (GOÄ) selbst innerhalb der Ärzteschaft noch nicht geklärt. Wie soll dann die Politik mithalten, wenn die „Götter in Weiß“ anderer Fachrichtungen vom großen Budget-Kuchen nichts Zusätzliches an die Labormedizin abgeben wollen?
Wolter: Wo Gelder verteilt werden, da wird auch gestritten. Wieso sollte das bei der Ärzteschaft anders sein? Ich bin zuversichtlich, dass sich hier eine Lösung finden wird. Allen Beteiligten und auch der Politik muss klar sein, dass Einsparungen im Laborbereich nicht nur in der Summe vergleichsweise wenig bringen, sondern dass sie sich hier auch besonders fatal auswirken können. Schließlich steht der Laborbefund ganz am Anfang der Versorgungskette.
MedLabPortal: Der Vorteil der DGKL als medizinische Fachgesellschaft liegt darin, dass Sie nicht explizit monetär agieren müssen. Was erwartet Bundeskanzler Friedrich Merz beim nächsten Blutabnehmen, wenn die Labormedizin weiterhin keine Beachtung in der Politik findet?
Wolter: Die Blutabnahme findet nicht beim Labormediziner statt. Die Frage müsste also lauten, was ihn danach erwartet. Kurzfristig dürften sich hier allerdings keine Veränderungen ergeben. Das ist gerade die Herausforderung. Wenn Lehrstühle verschwinden, der Nachwuchs ausbleibt, weniger geforscht wird, Krisenvorbereitungen unterentwickelt sind, dann merkt man das eben erst in ein paar Jahren – doch dann ist es zu spät.
MedLabPortal: Vielen Dank für Ihre Zeit.
Die Fragen stellte MedLabPortal-Redakteur Vlad Georgescu
Lesen Sie auch:
Bundesweiter Modellcharakter: DGKL und Verfassungsschutz im Austausch – MedLabPortal
Redaktion: X-Press Journalistenbüro GbR
Gender-Hinweis. Die in diesem Text verwendeten Personenbezeichnungen beziehen sich immer gleichermaßen auf weibliche, männliche und diverse Personen. Auf eine Doppel/Dreifachnennung und gegenderte Bezeichnungen wird zugunsten einer besseren Lesbarkeit verzichtet.