NACHGEFRAGT: „Die Gen- und Zelltherapien haben ein neues Therapiezeitalter eingeläutet.“
Herr Professor Müller-Tidow, welches Ziel verfolgt die Nationale Strategie für gen- und zellbasierte Therapien (GCT)?
Müller-Tidow: Die Nationale Initiative will diesen zukunftsweisenden Medizinbereich der GCTs in allen Bereichen in Deutschland fördern und weiterentwickeln. Dabei sollen die Rahmenbedingungen für die Entwicklung von Therapien im Forschungsbereich, in der Herstellung und in der Anwendung verbessert werden. Erreicht werden soll dies einerseits durch die Beratung der Politik sowie klare und bessere rechtliche Regelungen, aber auch durch eine engere Vernetzung von Universitäten, Forschungszentren und Industrie.
Die Gen- und Zelltherapie ist ein Schwerpunkt am UKHD. Wie ist der aktuelle Stand?
Müller-Tidow: 2023 haben wir das Heidelberger Zentrum für Gen- und Zelltherapie am UKHD gegründet, das sämtliche Aktivitäten in Bezug auf CGTs auf dem Campus zusammenführen und weiter entwickeln soll. Dabei arbeiten wir eng mit allen Institutionen der Heidelberg Mannheim Life + Science Alliance zusammen. Wir bieten am UKHD alle zugelassenen Therapien an, das sind insbesondere die CAR T-Zelltherapien bei Erwachsenen mit Leukämien und Lymphdrüsenkrebs, aber auch Gentherapien bei Kindern mit angeborenen Bluterkrankungen oder der Spinalen Muskelatrophie, einer angeborenen und tödlich verlaufenden Form des Muskelschwunds.
Zusätzlich betreiben wir Forschung im Grundlagenbereich wie auch in Klinischen Studien. In diesen klinischen Studien und den zugelassenen Therapien haben wir am UKHD bereits mehrere Hundert Patienten mit neuartigen Gen- und Zelltherapien behandelt.
Es ist erstaunlich und bewegend zu sehen, wie erfolgreich solche Therapien wirken. Viele Menschen mit vorher unheilbaren Erkrankungen wie Leukämien und Lymphdrüsenkrebs konnten wir mit der CAR T-Zelltherapie heilen.
Mehrere Studien zu weiteren Anwendungen und neuen Therapien sind in Vorbereitung oder werden gerade durchgeführt. Um die Einführung der GCTs insgesamt weiter voranzubringen und zu beschleunigen, fördert der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) mit seinem Innovationsfond das Projekt INTEGRATE-ATMP, das von Heidelberg aus koordiniert wird und die Versorgungsstrukturen in Deutschland nachhaltig verbessern kann. Dieses Leuchtturmprojekt greift in gewisser Weise einem Teil der nationalen Strategie für GCTs voraus: Darin erarbeiten wir seit 2022 mit unseren Konsortialpartnern geeignete Versorgungsstrukturen für Behandlungen mit Gentherapeutika, gentherapeutisch veränderten Zellen, z. B. Blutzellen, oder biotechnologisch verändertem Gewebe.
Was bedeutet die Nationale Strategie für Forschung und Patientenversorgung am UKHD?
Müller-Tidow: Die nationale Strategie wird die wachsende Bedeutung der GCTs stärker ins Bewusstsein aller Beteiligten, allen voran in der Politik, den Behörden und bei den Kostenträgern, rücken. Wir erwarten eine bessere finanzielle Förderung sowohl für die Entwicklung der Therapien als auch für die nötigen klinischen Studien. Zudem hoffen wir, dass die nun klar definierten Abstimmungswege dazu beitragen, Bürokratie abzubauen und so die Forschung zu neuen Therapien zu beschleunigen.
Wo sehen Sie Gen- und Zelltherapien in fünf Jahren, nicht nur deutschlandweit, sondern vor allem auch am UKHD?
Müller-Tidow: GCTs sind bereits jetzt aus der klinischen Medizin nicht mehr wegzudenken. Jährlich wird es neue Therapiemöglichkeiten und Zulassungen geben, von denen die betroffenen Patientinnen und Patienten unmittelbar profitieren werden. Ich erwarte, dass sich die Medizin mehr und mehr in diese Richtung entwickeln wird.
Die GCTs werden viele bisherige Therapieverfahren ersetzen und so ein neues Therapiezeitalter einläuten – vielleicht vergleichbar mit dem Beginn der Entwicklung von Antibiotika zur Bekämpfung von Infektionen.
In Heidelberg werden wir das Zentrum für Gen- und Zelltherapie konsequent weiterentwickeln, um unsere führende Rolle in der Forschung und Anwendung von Gen- und Zelltherapien beizubehalten. Dabei hoffen wir, wichtige Therapieverfahren von der Grundlagenforschung bis zur klinischen Anwendung in Heidelberg entwickeln zu können.
Abdruck mit freundlicher Genehmigung des des Universitätsklinikums Heidelberg (UKHD)
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