DGN-Wissenschaftspreis ehrt Neurologen für wegweisende Erkenntnisse zu Multipler Sklerose
Bei der gestrigen Eröffnungsveranstaltung des Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) wurde der Wissenschaftspreis der Deutschen Gesellschaft für Neurologie an Prof. Dr. Lucas Schirmer, Leiter der Sektion Neuroimmunologie an der Neurologischen Klinik der Universitätsmedizin Mannheim, verliehen. Mit dem Preis ehrt die DGN deutschsprachige klinisch-neurologisch tätige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für Forschungsarbeiten, die sich mit Pathogenese, Diagnostik und Therapie oder der pathologischen Anatomie der Krankheiten des Nervensystems befassen.
Mit dem Preis ehrt die DGN Prof. Schirmers herausragenden wissenschaftlichen Arbeit im Bereich der Translationalen Neurobiologie. Allein aus den letzten Jahren können drei hochrangig publizierte Arbeiten des Preisträgers als Meilensteine der neuroimmunologischen Forschung bezeichnet werden.
Eine wegweisende Arbeit des Preisträgers wurde 2019 in „Nature“ publiziert und hat ganz wesentlich zum pathophysiologischen Krankheitsverständnis der Multiplen Sklerose (MS) beigetragen. Die MS weist in der kortikalen grauen und der subkortikalen weißen Substanz heterogene Läsionsmuster und im Verlauf auch Zeichen der Neurodegeneration auf, die Schirmer mittels Einzelzellkern-RNA-Sequenzierung (snRNA-seq) molekular genauer charakterisieren konnte. Er wies veränderte Genexpressionen in MS-Läsionen in mehreren neuronalen Zelllinien nach und validierte die Ergebnisse mittels Multiplex-in-situ-Hybridisierung. Aufbauend auf diesen Ergebnissen, beschäftigt sich das Team um Schirmer nun in aktuellen Studien mit der Kombination von snRNA-seq und hochauflösenden räumlichen „Omics“-Verfahren, um die zelltypspezifischen Veränderungen präzisen räumlichen Koordinaten im Gewebe zuzuordnen und auch Zell-Zell-Interaktionen messen zu können.
Schirmer und sein Team entdeckten bei der MS nicht nur Schädigungsmuster in neuronalen Zellkörpern, sondern auch in den Nervenfortsätzen (Axone). Wie sich zeigte, führen schon in frühen Stadien ausgeprägte neuronale Stressreaktionen zur fortschreitenden axonalen Degeneration und zum Zelltod von Nervenzellen. Daraus generierte die Arbeitsgruppe die Hypothese, dass eine chronische neuronale Übererregbarkeit eine Rolle spiele. Die Publikation im Fachblatt „Journal of Clinical Investigation“ sorgte 2023 international für Aufsehen, weil sie die Kaliumkanäle der Ranvier`schen Schnürringe als völlig neues Therapieziel bei MS identifizierte. Durch die pharmakologische Öffnung des Kv7-Kanals mit dem Medikament Retigabin ging die Übererregbarkeit humaner und muriner Neurone zurück und im Tiermodell besserte sich die klinische MS-Symptomatik.
Mit seiner umfangreichen Expertise bei transgenen neuroinflammatorischen Modellsystemen sowie der Technik der Einzelzellkern-RNA-Sequenzierung und der räumlichen Transkriptomik widmet sich Prof. Schirmer seit einigen Jahren auch entzündlichen Muskelerkrankungen, insbesondere der weitgehend unerforschten Einschlusskörper-Myositis („inclusion body myositis“, IBM), der häufigsten entzündlichen Myopathie älterer Menschen. Im Juli dieses Jahres hat sein Team in „Nature Aging“ eine multizentrische internationale Studie zur IBM veröffentlicht, in der man mit dem snRNA-seq-Verfahren, kombiniert mit räumlichen Genexpressionsanalysen, Muskelbiopsien untersuchte und bislang unbekannte molekulare Veränderungen entdeckte. Diese Ergebnisse geben völlig neue Einblicke in mögliche Mechanismen der Muskelfaserdegeneration bei der IBM und offenbaren gleich mehrere potenzielle Therapieoptionen.
„Mit seiner Forschung hat Prof. Schirmer entscheidend zu einem besseren Verständnis neuroinflammatorischer Erkrankungen beigetragen und gleich mehrere neue, vielversprechende Therapietargets identifiziert. Seine Publikationen sind wissenschaftliche Meilensteine der Neuroimmunologie und fanden auch international große Beachtung“, erklärte Laudator und DGN-Kongresspräsident Prof. Dr. Sven Meuth.
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