“Von diesen epochalen Zerwürfnissen wird die Labormedizin nicht unberührt bleiben”

von | März 5, 2025 | Allgemein, Digitalisierung, Forschung, Gesundheit, Politik

Jan Wolter zählt zu den profiliertesten Sicherheitsexperten der Bundesrepublik. Er arbeitete in der Vergangenheit auf dem Gebiet der Cyber- und Spionageabwehr zum Schutz der deutschen Wirtschaft eng mit den führenden Sicherheitsbehörden BSI, BKA, BND und BfV zusammen. Heute ist Wolter Bevollmächtigter des Präsidiums der DGKL. Im Rahmen der Reihe NACHGEFRAGT sprach er mit MedLabPortal über die aktuelle geopolitische Lage – und den daraus resultierenden Folgen für die Labormedizin.

MedLabPortal: Herr Wolter, die zu erwartenden US-Zölle gegen die Europäische Union werden auch die Labormedizin direkt und indirekt treffen, weil deutsche Diagnostikunternehmen ihre Produkte in den USA verkaufen. Worauf muss sich die Labormedizin hierzulande einstellen?

Wolter: Die Menschheit steht vor enormen Herausforderungen, deren Bewältigung nur dann auch nur den Hauch einer Aussicht auf Erfolg hat, wenn sie gemeinschaftlich angegangen werden. In dieser Situation wird ein Handelskrieg vom Zaun gebrochen und werden Bündnisse zerschlagen, die uns über die letzten Jahrzehnte Frieden und Wohlstand – zumindest für einen Teil der Welt – gebracht haben. Von diesen epochalen Zerwürfnissen wird die Labormedizin nicht unberührt bleiben. So müssen wir hier in Deutschland zunächst einmal mit Preissteigerungen rechnen. Bei einem wachsenden Zerwürfnis mit den USA drohen allerdings weitere, bedeutendere Gefahren. Schließlich sind wir nicht nur im Bereich der militärischen Verteidigungsfähigkeit, sondern auch technologisch in vielen Feldern von den USA, bzw. von US-amerikanischen Firmen abhängig.

MedLabPortal: Insgesamt scheint die geopolitische Lage aus den Fugen geraten zu sein. Um Deutschland mehr Sicherheit in turbulenten Zeiten bieten zu können, diskutiert man in Berlin die Aufnahme von über 800 Milliarden Euro an Neuschulden, unabhängig davon, wie man diese deklariert. Welche Folgen hat das für die Labormedizin?

Wolter: Es ist die Rede davon, ein so genanntes Sondervermögen über 500 Milliarden Euro aufzunehmen. Das Geld soll in die Verteidigung und Infrastruktur fließen, aber wohl auch in Krankenhaus-Investitionen sowie Bildungs- und Wissenschaftsinfrastruktur. Das wären gute, sinnvolle Investitionen, von denen auch die Labormedizin profitieren könnte und sollte. Wenn es um die Verteilung von Mitteln geht, muss der Politik klar sein: Die Labormedizin ist definitiv nicht alles, aber ohne Labormedizin ist alles nichts.

Jan Wolter ist Bevollmächtigter des Präsidiums der DGKL. Credits: DGKL
Jan Wolter ist Bevollmächtigter des Präsidiums der DGKL. Credits: DGKL

MedLabPortal: Welche Investitionen wären im Gesundheitsbereich sinnvoll?

Wolter: Generell gesprochen müssen wir zum einen mehr in Prävention und Früherkennung investieren, zum anderen mehr in Resilienz. An Ideen für effektive Präventionsmaßnahmen mangelt es nicht. Hier möchte ich exemplarisch auf die Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK) verweisen. Zur Früherkennung gehört für mich auch eine gezieltere Behandlung von Krankheiten. Zu beidem kann die Labormedizin einen entscheidenden Beitrag liefern. Was das Thema Resilienz betrifft: Gerade in der aktuellen Bedrohungslage halte ich es für geradezu überlebenswichtig, dass wir in der Gesundheitsversorgung über ausreichend Reserven verfügen, uns Redundanzen leisten – sprich, dass nicht alles auf Kante genäht ist. Die Idee einer Vorhaltevergütung ist daher grundsätzlich eine gute. Hier bedarf es allerdings mehr. So möchte ich an dieser Stelle auch nochmals an den Cybercent erinnern.

MedLabPortal: Wie sieht es im Bereich der Forschung aus?

Wolter: Nun, man sollte keine Krise ungenutzt lassen. Viele Forscher dürften sich aktuell die Frage stellen, ob das Land, in dem sie über Jahrzehnte frei forschen durften, ihnen noch eine Zukunft bieten kann. Wo der Staat Fördermittel anhand politischer Glaubenssätze vergibt oder eben auch streicht, wo autoritäre Züge sich durchsetzen, ist die freie Forschung bedroht. Deutschland täte gut daran – gerade jetzt – mehr um internationale Forscher zu werben und ihnen hier mehr als nur eine Forschungsstätte, sondern eine neue Heimat anzubieten. Wir müssen bei all den drängenden Problemen – mangelnde Verteidigungsfähigkeit, bröckelnde Infrastruktur –, die akutes Handeln erfordern, auch die langfristige Perspektive im Blick behalten. Um nicht nur wettbewerbsfähig, sondern auch verteidigungsfähig, politisch handlungsfähig, ja überlebensfähig zu bleiben, müssen wir massiv in Forschung und Entwicklung investieren. Dafür ist es einerseits erforderlich, unser Bildungssystem zu stärken, andererseits aber auch um internationale Forscher zu werben. Ich gewinne aber keine Spitzenforscher für einen Standort, bei dem die Sorge vor Asbest-Rückständen nur durch die vor einem Deckeneinsturz übertroffen wird und Bürokratie, selbst für die Beschaffung von Druckerpapier oder einer Zentrifuge, einen unwillkürlich an Szenen aus Asterix und Obelix erinnern lässt. Sprich: Universitäten und Forschungseinrichtungen brauchen deutlich mehr Mittel! In einem zweiten Schritt sind Marktbedingungen zu schaffen, die es ermöglichen, dass aus den Forschungsergebnissen auch Produkte und Dienstleistungen entstehen können, also wettbewerbsfähige Unternehmen – die hier ihren Sitz haben, Arbeitsplätze schaffen und Steuern zahlen. Deutschland, ja ganz Europa ist in Schlüsselbereichen technologisch viel zu abhängig. Das müssen wir ändern!

MedLabPortal: Was müsste konkret im Bereich der Labormedizin passieren?

Wolter: Die Labormedizin taucht im Bereich der Forschungsförderung überhaupt nicht auf. Das ist nicht nur bedauerlich, dass ist für das Fach definitiv schädlich. Hierzu habe ich auch mit dem Bundestagsabgeordneten Ruppert Stüwe gesprochen. Natürlich ist es grundsätzlich möglich, Gelder für labormedizinische Forschung auch aus nicht labormedizinisch-spezifischen Töpfen zu akquirieren. Das ist aber nicht nur aufwändiger. Das kann auch als Signal verstanden werden, dass dem Fach politisch keine Bedeutung beigemessen wird. Wenn es aber darum geht, Spitzenforschung zu betreiben, Doktoranden und Nachwuchskräfte zu gewinnen, Lehrstühle zu erhalten oder grundsätzlich die Bedeutung des Fachs im wissenschaftlich-akademischen Raum zu untermauern, dann ist das ein Problem. Spezifische Fördertöpfe für die labormedizinische Forschung sind daher von hoher Bedeutung für das Fach.

MedLabPortal: Ihre Empfehlung an den kommenden Kanzler lautet?

Wolter: Der kommende Kanzler darf nicht die nächste Bundestagswahl im Blick haben oder sich um seinen vermeintlichen politischen Gegner scheren. Er muss eine Vorstellung davon haben, wie Deutschland in 10 Jahren dastehen sollte und einen Plan entwickeln, wie wir dahin kommen. Dabei ist ihm hoffentlich klar, dass das Deutschland in 10 Jahren nicht das Deutschland von vor 10 Jahren sein kann.

MedLabPortal: Herr Wolter, vielen Dank für Ihre Zeit.

Das Gespräch führten Marita Vollborn und Vlad Georgescu

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Redaktion: X-Press Journalistenbüro GbR

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