Thalassämie: Gentherapie ermöglicht Leben ohne Bluttransfusionen
Dass der Körper von Eleni C. zu wenig Hämoglobin bildet, wurde im Alter von einem Jahr festgestellt. Seitdem beeinflusst die Diagnose ß-Thalassämie ihr ganzes Leben. Alle vier Wochen musste sie in die Tübinger Kinderklinik kommen, damit Hämoglobin zugeführt werden konnte. Seit 2021 ist damit Schluss. Die junge Frau durfte als eine von 52 Kindern und jungen Erwachsenen an einer der weltweit ersten Studien teilnehmen, in der Thalassämie-Erkrankte mit einer Gentherapie behandelt wurden. Seit mehreren Jahren ist das klinikeigene Labor für Gentherapie unter Leitung von PD Dr. Dr. Markus Mezger an der Erforschung der Therapie beteiligt. Nun konnten gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus 15 Kliniken in den USA und Europa, darunter neben Tübingen auch die Universitätskliniken Düsseldorf und Regensburg, Zulassungsstudien durchgeführt werden.
„Die Gentherapie ist ein fantastisches Beispiel dafür, dass Gentherapien wirksam sind und im klinischen Alltag angewendet werden können“, betont Prof. Dr. Peter Lang, der die Stammzelltransplantationen in der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin leitet. Seit 20 Jahren behandelt er Patientinnen und Patienten mit Thalassämie.
Die Therapie kann zwischen wenigen Monaten bis zu einem Jahr dauern. Dazu werden zunächst Stammzellen aus dem Blut entnommen. Die Gentherapie des auf schwere Krankheiten spezialisierten Biotechnologieunternehmens Vertex verändert die blutbildenden Stammzellen der Betroffenen mit der Genschere CRISPR/Cas9 so, dass diese wieder das funktionsfähige Hämoglobin des frühen Kindesalters (fetales Hämoglobin) bilden, das keine Schäden trägt. Dadurch können die Patientinnen und Patienten wieder ohne Bluttransfusionen leben. Danach werden die Erkrankten mit einer Chemotherapie behandelt, die das eigene Knochenmark auslöscht. Im Anschluss werden die genmodifizierten Stammzellen transplantiert, aus denen dann die Blutbildung erneut wieder entsteht. Die Therapie von Eleni C. liegt mittlerweile drei Jahre zurück. Alle drei Monate kommt sie für Kontrollen in die Kinderklinik – die Blutbildung funktioniert einwandfrei.
Hintergrund: Die Hämoglobinopathien, zu denen die Thalassämie-Varianten und die Sichelzellkrankheit zählen, sind mit sieben Prozent der Weltbevölkerung als Anlageträger die weltweit häufigsten monogenen Erbkrankheiten. Bei Thalassämie haben die roten Blutkörperchen (Erythrozyten) aufgrund eines Hämoglobindefekts eine geringere Funktionsfähigkeit und eine kürzere Lebensdauer, zudem werden sie in geringerer Zahl gebildet als bei gesunden Menschen. Die Folge ist eine Blutarmut, sodass der Körper nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt werden kann. Unbehandelt kommt es bei Patientinnen und Patienten zu einer massiven Leber- und Milzvergrößerung, zur Veränderung der Knochenmarksräume und zu Fehlbildungen am Skelettsystem. Ohne eine adäquate Therapie sterben diese Kinder bis zum fünften Lebensjahr. Thalassämie kommt vor allem in den Mittelmeerländern, in den Staaten des Nahen und Mittleren Ostens, auf dem indischen Subkontinent, in Südostasien und in Afrika vor. In Mitteleuropa ist die Zahl von Patienten und Anlageträgerinnen in den letzten Jahrzehnten durch Migration erheblich gestiegen. Schätzungen zufolge leben in Deutschland derzeit etwa 600 Personen mit der schweren Form der ß-Thalassämie (Thalassämia major) und etwa 160.000 Menschen mit Thalassämia minor.
Original Paper
Exagamglogene Autotemcel for Severe Sickle Cell Disease | New England Journal of Medicine (nejm.org)
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