Rationale Pharmakotherapie: Klimaschutz beginnt in der Arztpraxis

von | Apr. 2, 2025 | Corporate News, Gesundheit, Nachhaltigkeit

Der Gesundheitssektor trägt maßgeblich zu den globalen CO₂-Emissionen bei. Eine rationale Pharmakotherapie bietet Praxen die Chance, ihre Umweltbelastung signifikant zu reduzieren – durch bewusste Verschreibungspraxis, umweltfreundliche Wirkstoffe und klimabewusste Darreichungsformen​.

Umweltbelastung durch den Gesundheitssektor

Mit einem Anteil von 5,2 % an den nationalen Treibhausgasemissionen steht der Gesundheitssektor in Deutschland unter Zugzwang​. Besonders die Produktion, der Transport und die Entsorgung von Arzneimitteln tragen erheblich dazu bei. Eine optimierte Pharmakotherapie bietet nicht nur eine effizientere Patientenversorgung, sondern auch einen Ansatz zur Reduzierung von Emissionen​.

Vermeidung von Übermedikation: Effektiver Klimaschutz

In westlichen Industrieländern sind bis zu 30 % der medizinischen Leistungen überflüssig, was zu vermeidbaren Emissionen und Ressourcenverbrauch führt​. Die gezielte Verschreibungspraxis, basierend auf Leitlinien wie denen des Aktionsbündnisses Patientensicherheit, minimiert nicht nur Doppelverordnungen, sondern schützt auch die Umwelt​.

Protonenpumpenhemmer als Beispiel

Mit 3,8 Milliarden Tagesdosen allein in Deutschland sind Protonenpumpenhemmer (PPIs) ein Paradebeispiel für Übermedikation​. Häufig werden sie länger als notwendig eingenommen. Hier ist eine strengere Indikationsstellung und die Aufklärung der Patienten entscheidend, um unnötige Verordnungen und ökologische Belastungen zu vermeiden​.

Umweltfreundliche Wirkstoffe: Nachhaltige Alternativen zur Reduktion der
Belastung


Arzneimittelrückstände stellen ein wachsendes Umweltproblem dar. In Deutschland wurden bereits über 400 Wirkstoffe in Flüssen, Seen und sogar im Trinkwasser nachgewiesen​. Besonders problematisch sind Substanzen mit schlechter Abbaubarkeit oder hohem Bioakkumulationspotenzial, wie Antiepileptika, Blutdrucksenker oder iodierte Röntgenkontrastmittel​.

Der „Green Pharmacy“-Ansatz verfolgt das Ziel, bei vergleichbarer therapeutischer Wirksamkeit Wirkstoffe mit geringerer Umweltbelastung zu bevorzugen. In Stockholm wurde zwischen 2017 und 2021 die „Wise List“ entwickelt, die Ärztinnen und Ärzte bei der Auswahl umweltfreundlicher Alternativen unterstützt​.

Ein Beispiel für nachhaltige Verschreibungspraxis ist die gezielte Auswahl von Antibiotika: Während einige Wirkstoffe wie Ciprofloxacin in Gewässern nur sehr langsam abgebaut werden, sind andere, wie Penicilline oder Makrolide, deutlich umweltfreundlicher​. Durch den bewussten Einsatz von Medikamenten mit geringem ökotoxikologischen Potenzial können Medizinerinnen und Mediziner aktiv zur Umweltentlastung beitragen.

Umweltbelastende Darreichungsformen: Ein unterschätzter Klimafaktor

Die Wahl der Arzneimittelform kann ebenfalls erhebliche ökologische Auswirkungen haben. Besonders Dosieraerosole (DA) zur Inhalation stehen im Fokus, da sie klimaschädliche Treibgase enthalten. Das Treibhauspotenzial dieser Gase ist bis zu 3.000-mal höher als das von CO₂​. Nach der Anwendung verbleibt zudem eine Restmenge des Treibmittels in der Kartusche, was die vollständige Entsorgung erschwert​.

Pulverinhalatoren (DPI) sind eine klimafreundliche Alternative, da sie ohne Treibgas auskommen und eine vergleichbare therapeutische Wirksamkeit bieten​. Die aktuelle S2k-Leitlinie „Klimabewusste Verordnung von Inhalativa“ empfiehlt daher, wo medizinisch vertretbar, DPIs anstelle von DAs zu verschreiben​.

Eine post-hoc-Analyse einer randomisierten, kontrollierten Studie zeigte, dass die Umstellung von DA auf DPI zu einer signifikanten Reduktion der Treibhausgasemissionen führte – ohne Einbußen in der Asthmakontrolle​. Allerdings müssen motorische und kognitive Einschränkungen der Patientinnen und Patienten berücksichtigt werden, da die Anwendung von DPIs ein forciertes Inspirationsmanöver erfordert.

Verantwortungsvolles Medikationsmanagement trägt maßgeblich zum Umweltschutz
bei. Credits: Roche
Verantwortungsvolles Medikationsmanagement trägt maßgeblich zum Umweltschutz
bei. Credits: Limbach Gruppe

Neben Inhalativa können auch andere Darreichungsformen umweltfreundlicher gestaltet werden. Blisterverpackungen aus Aluminium haben eine hohe Umweltbelastung durch den energieintensiven Abbau des Rohstoffs, während recycelbare Kunststoffverpackungen eine nachhaltigere Alternative darstellen​.

Ein nachhaltiger Gesundheitssektor als Ziel

Die Umsetzung einer rationalen Pharmakotherapie in der Praxis bedeutet Ressourcenschonung, ohne die Qualität der Patientenversorgung zu gefährden. Diese Maßnahmen fördern nicht nur die Nachhaltigkeit, sondern auch das Vertrauen in eine moderne, verantwortungsvolle Medizin​.

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