Papst Franziskus: Das Gen Gottes

von | Apr. 22, 2025 | Forschung, Politik

Der Tod von Papst Franziskus markiert einen Einschnitt für die katholische Kirche und die weltweite religiöse Gemeinschaft. Inmitten der Trauer und Reflexion über das Leben und Wirken dieses außergewöhnlichen Pontifex stellt sich auch eine grundsätzliche Frage: Warum glauben Menschen überhaupt? Ist Religiosität ein Produkt von Erziehung, Kultur und bewusster Entscheidung – oder steckt der Glaube womöglich in unseren Genen? Die Forschung der vergangenen Jahrzehnte hat sich intensiv mit dieser Frage beschäftigt. Die Ergebnisse sind überraschend differenziert und werfen ein neues Licht auf das Zusammenspiel von Biologie, Persönlichkeit und sozialer Prägung.

Papst Franziskus an der Klagemauer im Mai 2014. Credits/Foto: Israelische Polizei
Papst Franziskus an der Klagemauer im Mai 2014. Credits/Foto: Israelische Polizei

Gibt es ein „Gen für Religion“?

Die Idee, dass Religiosität genetisch beeinflusst sein könnte, ist nicht neu, aber sie bleibt kontrovers. Einen populären Anstoß gab der amerikanische Genetiker Dean Hamer mit seinem Buch „The God Gene“ (2004), in dem er das Gen VMAT2 als möglichen Kandidaten für eine genetische Grundlage von Spiritualität vorschlug[1][8]. Hamer fand in seinen Untersuchungen Hinweise darauf, dass bestimmte Varianten dieses Gens mit einer höheren Neigung zu spirituellen Erfahrungen einhergehen könnten. Doch seine These wurde wissenschaftlich wie religiös scharf kritisiert, nicht zuletzt, weil die Ergebnisse zunächst nicht in einer peer-reviewten Fachzeitschrift erschienen, sondern in einem populärwissenschaftlichen Buch veröffentlicht wurden[1][8].

Die Fachwelt ist sich heute einig: Es gibt kein einzelnes „Gottes-Gen“. Vielmehr handelt es sich um ein komplexes Zusammenspiel zahlreicher genetischer Faktoren, die – gemeinsam mit Umwelt und Sozialisation – die individuelle Ausprägung von Religiosität beeinflussen[3][4][7]. Die Forschung spricht daher von einer genetischen Prädisposition, nicht von einer genetischen Determination des Glaubens.

Zwillingsstudien: Der genetische Anteil an Religiosität

Die stärksten Belege für einen genetischen Einfluss auf Religiosität stammen aus Zwillings- und Familienstudien. Sie vergleichen eineiige (monozygote) Zwillinge, die 100 Prozent ihrer Gene teilen, mit zweieiigen (dizygoten) Zwillingen, die sich genetisch wie normale Geschwister ähneln. Wenn eineiige Zwillinge sich in ihrem Glauben ähnlicher sind als zweieiige, spricht das für eine genetische Komponente.

Bereits in den 1990er-Jahren zeigten solche Studien, dass etwa 40–50 Prozent der Unterschiede in der individuellen Religiosität auf genetische Einflüsse zurückzuführen sind[3][7]. Tim Spector, Professor am Londoner St. Thomas Hospital, untersuchte 1600 Zwillingspaare und fand: Während die Häufigkeit des Kirchgangs stark von der Erziehung abhing, war die Tiefe des Glaubens zu etwa 50 Prozent erblich bedingt[7]. Auch eine große Metaanalyse der Universität Bremen, die sämtliche Zwillings- und Familienstudien seit 1999 auswertete, bestätigt: Die Gene beeinflussen, wie stark der Glaube ausgeprägt ist und wie sehr religiöse Praktiken den Alltag bestimmen[2][4].

Wie wirken Gene auf Religiosität?

Die genetische Beeinflussung von Religiosität erfolgt nicht direkt, sondern vermittelt über Persönlichkeitsmerkmale und psychologische Bedürfnisse. So zeigen Studien, dass genetische Faktoren, die mit Extraversion, sozialer Wärme oder auch mit dem Bedürfnis nach Gemeinschaft und Sinnsuche zusammenhängen, auch die Neigung zu religiösem Verhalten fördern[3]. Eine aktuelle Untersuchung kommt zu dem Schluss, dass der genetische Einfluss auf Religiosität weitgehend mit genetischen Einflüssen auf Gemeinschaftsbindung (community integration) und existenzielle Unsicherheit (existential uncertainty) überlappt. Menschen, die genetisch eher dazu neigen, sich in Gruppen zu integrieren oder auf existenzielle Fragen mit Unsicherheit zu reagieren, sind auch empfänglicher für religiöse Überzeugungen[3].

Daraus folgt: Die genetische Basis der Religiosität ist biologisch komplex und verteilt sich auf viele verschiedene Eigenschaften, die wiederum das religiöse Erleben und Verhalten beeinflussen.

Gene oder Umwelt: Was bestimmt die Religionszugehörigkeit?

Während die genetische Disposition die grundsätzliche Bereitschaft zum Glauben beeinflusst, entscheidet die Umwelt – insbesondere Familie, Erziehung und soziale Kontakte – darüber, welcher Religion sich ein Mensch zuwendet[2][4][8]. Kinder übernehmen in der Regel die Konfession ihrer Eltern. Mit zunehmendem Alter nimmt der Einfluss der Herkunftsfamilie jedoch ab, während der Einfluss von Partnern, Freunden und anderen sozialen Bezugspersonen wächst[4]. Besonders auffällig: Die Religiosität des Lebenspartners spielt im Erwachsenenalter eine herausragende Rolle für die eigene religiöse Praxis und Überzeugung[2][4].

Im Jugendalter, wenn sich junge Menschen von ihrem Elternhaus ablösen, treten individuelle, möglicherweise genetisch bedingte Unterschiede in den Vordergrund. Dies erklärt auch, warum manche Jugendliche trotz nicht-religiösem Elternhaus zu radikalen religiösen Überzeugungen finden – oder umgekehrt[4].

Evolutionäre Perspektive: Der Reproduktionserfolg der Religionen

Ein besonders spannender Aspekt ist die Frage, ob Religiosität auch einen evolutionären Vorteil bietet. Studien zeigen, dass religiöse Menschen im Durchschnitt mehr Kinder bekommen als säkulare[5][6]. Dies gilt über verschiedene Religionen und Kulturen hinweg. Der Ökonom Robert Rowthorn von der University of Cambridge wies nach, dass religiöse Gemeinschaften mit hohen Geburtenraten – etwa orthodoxe Juden, Mormonen oder Hutterer – über Generationen hinweg wachsen, selbst wenn es immer wieder Austritte gibt[6].

Die genetische Prädisposition zur Religiosität kann sich so durch „kulturelles Hitchhiking“ in der Population ausbreiten: Wer eine Veranlagung zum Glauben hat, bleibt mit höherer Wahrscheinlichkeit in einer kinderreichen, religiösen Gemeinschaft und gibt diese Veranlagung weiter[5][6]. Allerdings gilt auch hier: Die kulturelle Ausprägung der Religion entscheidet über den Reproduktionserfolg. Gemeinschaften, die Kinderlosigkeit predigen, verschwinden rasch wieder aus der Geschichte[6].

Kritik und offene Fragen

Obwohl der genetische Einfluss auf Religiosität heute als gesichert gilt, bleibt die Suche nach einzelnen „Glaubensgenen“ umstritten. Die bisherigen Kandidaten wie VMAT2 konnten den komplexen Zusammenhang zwischen Genetik und Glauben nicht zufriedenstellend erklären[1][8]. Die meisten Forscher gehen davon aus, dass es sich um ein polygenes Merkmal handelt, bei dem viele Gene mit kleinen Effekten zusammenwirken.

Zudem ist die Wechselwirkung zwischen Genen und Umwelt entscheidend: Genetische Unterschiede entfalten sich erst im Laufe der Entwicklung und werden durch Erfahrungen, Sozialisation und gesellschaftliche Rahmenbedingungen moduliert[4]. In freiheitlichen Gesellschaften, in denen Menschen ihre religiösen Praktiken selbst wählen können, kommt der genetische Einfluss stärker zum Tragen als in repressiven oder stark normierten Umgebungen[2].

Fazit: Die genetische Veranlagung zur Religiosität – kein Schicksal, aber ein Faktor

Der Tod von Papst Franziskus lenkt den Blick auf die Kraft des Glaubens, die Millionen Menschen Orientierung, Trost und Gemeinschaft bietet. Die Wissenschaft zeigt: Ein Teil dieser Kraft ist uns tatsächlich in die Wiege gelegt. Unsere Gene beeinflussen, wie empfänglich wir für religiöse Erfahrungen sind und wie sehr Religion unser Leben prägt. Doch sie bestimmen nicht, welcher Religion wir angehören oder ob wir überhaupt glauben. Hier spielen Erziehung, Partnerschaft, Freundeskreis und gesellschaftliche Trends die entscheidende Rolle.

Religiosität ist damit ein Paradebeispiel für das Zusammenspiel von Natur und Kultur, von biologischer Disposition und sozialer Prägung. Sie ist weder rein angeboren noch ausschließlich anerzogen – sondern Ausdruck der tiefen Verflechtung von Genen, Persönlichkeit und Lebenswelt. In einer Zeit, in der religiöse Bindungen schwinden und neue spirituelle Formen entstehen, bleibt die Suche nach den Wurzeln des Glaubens eine faszinierende Herausforderung für Wissenschaft, Gesellschaft und jeden Einzelnen.

Der Artikel erschien im Original bei LabNews Media LLC. Für die Inhalte ist die Originalwebseite verantwortlich.


Redaktion: X-Press Journalistenbüro GbR

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