NACHGEFRAGT mit MdB Dr. Kirsten Kappert-Gonther “Die Klimakrise ist die größte Gesundheitsgefahr unserer Zeit.”

Im Gespräch mit MedLabPortal beleuchtet die Grünen-Bundestagsabgeordnete und Fachärztin für Psychiatrie Dr. Kirsten Kappert-Gonther aktuelle Missstände im Gesundheitswesen, von Pandemie-Skandalen bis hin zu Migrationsmedizin. Als ehemalige Vorsitzende des Gesundheitsausschusses fordert sie mehr Aufklärung, präventive Screenings und einen stärkeren Fokus auf One Health im Kontext der Klimakrise.
Politisch engagiert sie sich seit 2002 bei Bündnis 90/Die Grünen. Von 2011 bis 2017 war sie Mitglied der Bremischen Bürgerschaft, wo sie als Sprecherin für Gesundheits-, Religions- und Kulturpolitik sowie stellvertretende Fraktionsvorsitzende wirkte. Seit 2017 sitzt sie im Deutschen Bundestag und ist seitdem Mitglied des Gesundheitsausschusses, den sie in der 20. Legislaturperiode als Vorsitzende leitete.
MedLabPortal: Frau Dr. Kappert-Gonther, Jens Spahn hat nach übereinstimmenden Berichten während der Corona-Pandemie Deutschlands Steuerzahlern einen Schaden in Höhe von mehreren Milliarden Euro beschert. Was halten Sie davon?
Kappert-Gonther: Während heute um jeden Euro im Gesundheitssystem gerungen wird, sind in Spahns Maskendeals Milliarden verschwunden. Ministerin Warken muss aufklären – nicht vertuschen.
MedLabPortal: Wir fragen, weil man mit diesem Geld medizinisch sinnvollere Dinge stemmen kann, als überteuerte Masken zu kaufen. Auf dem Deutschen Kongress für Laboratoriumsmedizin 2024 in Bremen wies die Vizepräsidentin der Deutschen Gesellschaft für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin, Prof. Mariam Klouche, auf die zunehmende Bedeutung der Migrationsmedizin hin. Vereinfacht: Seuchen wie Tuberkulose oder Syphilis gelangen verstärkt nach Deutschland. Warum hat sich niemand im Gesundheitsausschuss dieser Thematik angenommen, um Gelder für die nötigen labormedizinischen Massenscreenings für Geflüchtete zu finanzieren?
Kappert-Gonther: Zunächst muss man in der Debatte natürlich sehr aufpassen, dass hier nicht fremdenfeindliche Resentiments geschürt werden. Richtig finde ich es, die Screenings auf Tuberkulose zu verstärken. Hierdurch können die Betroffenen zeitnah die richtige Therapie erhalten und gleichzeitig kann einer Ausbreitung der Krankheit entgegengewirkt werden. Zusätzlich sollten aber auch präventive Screenings, wie zum Beispiel der PAP-Test verstärkt gefördert werden. In vielen Ländern steht die HPV-Impfung nicht zur Verfügung und viele geflüchtete Frauen haben ein höheres Risiko für Gebärmutterhalskrebs. Um frühzeitig therapieren zu können und so den betroffenen Frauen Leid, aber dem System auch Kosten zu ersparen, wäre so ein Screening notwendig und sinnvoll. Entscheidend ist es, bei dieser Debatte nicht das Recht und die Würde der geflüchteten Menschen zu vergessen. Grundsätzlich müssten Asylsuchende früher Zugang zur Regelversorgung erhalten.
MedLabPortal: Uns hat ohnehin überrascht, dass die Labormedizin mit keinem einzigen Wort im aktuellen Koalitionsvertrag erwähnt wird, auch im Koalitionsvertrag der Ampel blieb diese Fachrichtung unerwähnt. Ist den Abgeordneten im Deutschen Bundestag die Bedeutung der Labormedizin bekannt?
Kappert-Gonther: Dass das Fach der Labormedizin und damit auch die verbundene Surveillance eine zentrale Rolle für eine gerechte und gute nationale und globale Gesundheitsversorgung spielen, ist nur teilweise bekannt. Die Arbeiten von Frau Prof.in Klouche sind für die globale Gesundheit richtungsweisend.
MedLabPortal: Sie selbst sind Medizinerin und können daher auf Augenhöhe mit Vertretern der DGKL reden. Neulich haben Sie in Bremen im Rahmen eines Laborbesuchs mit Professorin Klouche und mit dem Bevollmächtigten des Präsidiums der DGKL, Jan Wolter, einen Gedankenaustausch gehabt. Gab es konkrete Ergebnisse, die Sie Ihren Kolleginnen und Kollegen im Gesundheitsausschuss vorstellen werden?
Kappert-Gonther: Die Gefahren der weltweiten Ausbreitung von Zoonosen im Zuge der Klimakrise sind beträchtlich. Welche wichtigen präventiven Leistungen hier durch die Labormedizin erbracht werden können, hat mich beeindruckt. Die Koalition aus Union und SPD lehnt die Einrichtung eines Unterausschuss für Globale Gesundheit ab. Falls wir uns durchsetzen und der Unterausschuss noch eingesetzt wird, will ich erreichen, dass wir im Unterausschuss ein Fachgespräch mit Expert*innen zum Thema Prävention von Zoonosen durchführen.

MedLabPortal: Uns beschäftigt auch der Klimawandel. In Deutschland dreht sich in diesem Bereich alles um das Gebäude-Energie-Gesetz, aber niemand redet im politischen Berlin über Krankheiten, die infolge des Klimawandels in Deutschland neu auftauchen. Wo sehen Sie hier Aufgaben für den Gesundheitsausschuss, den Sie lange Zeit leiteten?
Kappert-Gonther: Sie greifen hier ein entscheidendes Thema auf! Die Klimakrise ist die größte Gesundheitsgefahr unserer Zeit. Das geht von mehr Hitzetoten, über die Zunahme von psychischen Erkrankungen in Hitzeperiode bis zu einer Zunahme von Allergien und den steigenden Risiken der schon angesprochenen Zoonosen und Pandemien. Im Gesundheitsausschuss haben dazu unter meinem Vorsitz Debatten stattgefunden. Insgesamt ist One Health aber immer noch ein Thema was eher unter special interest fällt, statt dass wir endlich verstehen, dass One Health für unser aller Zukunft entscheidend ist.
MedLabPortal: Das Thema One Health ist in Arztpraxen faktisch nicht angekommen. Und wenn die Vorstellungen von Bundesgesundheitsministerin Nina Warken Realität werden, dürften niedergelassene Hausärzte nicht mehr, sondern weniger Zeit für Ihre Patienten haben. Wie würden Sie als Gesundheitsministerin die Ärzteschaft dazu bringen, zusätzlich auch noch spezielle Laborleistungen anzufordern, um die Herausforderungen der One Health Medizin überhaupt erkennen zu können?
Kappert-Gonther: Um eine gute Gesundheitsversorgung der Zukunft zu sichern, braucht es die Etablierung eines Primärversorgungssystem, nicht nur eines primärärztlichen Systems.
MedLabPortal: Frau Kappert-Gonther, vielen Dank für Ihre Zeit.
Die Fragen stellten Marita Vollborn und Vlad Georgescu
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Redaktion: X-Press Journalistenbüro GbR
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