NACHGEFRAGT: „Für eine zuverlässige Kaliumbestimmung ist Heparin Plasma das geeignete Material“
Der Verein „Akkreditierte Labore in der Medizin“ (ALM) fordert den Erhalt von Serum als Alternativmaterial für die Routineversorgung und legte dazu eine Studie im Fachblatt PLOS One vor. MedLabPortal sprach mit dem Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin (DGKL), Prof. Harald Renz, über die fachlich relevanten Aspekte – und dessen Meinung zu den wichtigsten Forderungen der ALM-Petition.
MedLabPortal: Was sagen Sie zu dieser Forderung?
Renz: Der Titel führt in die Irre, da es nie um die Abschaffung von Serum als Untersuchungsmaterial ging. Die Petition ist ein Versuch, Regelungen aus der Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen – kurz Rili-BÄK – aus dem Jahr 2023 rückgängig zu machen. Der Vorstand der BÄK hatte 2019 die Rili-BÄK Gremien explizit aufgefordert, „die Anforderungen an die Präanalytik zu überarbeiten, da diese die Qualität der Messergebnisse maßgeblich beeinflusst.“ Dies ist mit der Veröffentlichung der überarbeiteten Rili-BÄK im Jahr 2023 geschehen.
MedLabPortal: Welche Vorteile bringt Plasma gegenüber Serum bei der Bestimmung der Blutwerte?
Renz: Grundsätzlich gilt, dass Serum ein artifiziell verändertes Untersuchungsmaterial ist. Bei Serum handelt es sich um den zellfreien Überstand, der in der Regel durch eine Zentrifugation gewonnen wird. Dabei ist entscheidend, dass das Blut geronnen ist. Beim Gerinnungsprozess verändern sich Bestandteile des Blutes, in dem zum Beispiel Fibrinogen in Fibrin umgewandelt wird. Lege artis sollte eine Blutprobe für 30 Minuten stehen, damit der Gerinnungsprozess abgeschlossen ist. Beim Gerinnungsvorgang werden aus dem Thrombozyten Inhalte freigesetzt wie zum Beispiel das Kalium. Da die intrazelluläre Kaliumkonzentration viel höher ist als die extrazelluläre Kaliumkonzentration, werden damit die Kaliumwerte im Serum falsch hoch. Um Plasma zu erhalten, muss das Blut durch die Zugabe von Hilfsmitteln daran gehindert werden zu gerinnen. Häufig wird dazu Heparin verwendet. Seit vielen Jahrzehnten wird Heparin Plasma für die Bestimmung von Kalium empfohlen.
MedLabPortal: Uns wundert, dass im Netz eine Petition der Interessensgruppierung ALM auffindbar ist, die auf Erhaltung von Serum als Alternativmaterial zum Plasma für die Bestimmung von Glucose und Kalium pocht. Wie bewerten Sie diese Petition aus Sicht der Fachgesellschaft DGKL?
Renz: Die Rili-BÄK hat bei der letzten Überarbeitung zum ersten Mal das Thema Präanalytik für diese einzelnen Messgrößen konkret behandelt, wobei für diese beiden Messgrößen Serum ungeeignet ist. Unabhängig davon kann und muss Serum für zahlreiche Messgrößen verwendet werden. Serum wird also einen wichtigen Stellenwert in der Laboratoriumsmedizin behalten.

MedLabPortal: Die Verfasser der Petition sprechen von „Patientengefährdung“. Konkret heißt es beispielsweise dazu: „Glukose: Die Spontanglukosebestimmung aus Serum wäre nicht mehr zulässig, was die Diagnostik erheblich einschränkt“. Wie bewerten Sie diese Aussage?
Renz: Diese Aussage ist schlicht falsch. Es ist seit vielen Jahrzehnten bekannt, dass die Glukosekonzentration in Blutentnahmeröhrchen sinkt, wenn keine geeigneten Glykolysehemmer in den Blutentnahmeröhrchen enthalten sind bzw. der Überstand schnell von den Zellen getrennt wird. Die Glukosekonzentration sinkt um fast 10 Prozent in der 1. Stunde. Die Abnahme der Glukosekonzentration setzt sich fort, so dass die gemessenen Werte aus alten Serumröhrchen falsch niedrig sind. Dabei sinkt die Glukosekonzentration bis zur Nachweisgrenze ab. Dieser Zustand stellt eine Patientengefährdung dar, da die Glukosekonzentrationen generell falsch niedrig gemessen werden! Ein nicht länger akzeptabler Zustand, zumal Menschen mit Diabetes mellitus fast 10 Prozent der deutschen Bevölkerung umfassen und diese Erkrankung eine wichtige Bedeutung für die Volksgesundheit hat. Zudem müssen wir aktuell in Deutschland davon ausgehen, dass bei ca. 1 Millionen Menschen der Diabetes mellitus noch nicht diagnostiziert ist, also unbekannt ist.
MedLabPortal: Als Patientengefährdung wird auch folgendes Statement aufgezählt: „Kalium: Ohne Zentrifugation innerhalb von 30 Minuten (maximal 1 Stunde) treten bei Vollblut/Plasma deutlich häufiger Pseudohyperkaliämien auf als bei Vollblut/Serum, was fehlerhafte Diagnosen zur Folge haben kann.“ Ihre Meinung als Fachgesellschaft dazu?
Renz: Diese Aussage ist nicht korrekt und stellt eine falsche Interpretation dar. Wenn Vollblut nicht innerhalb des genannten Zeitraums zentrifugiert und dann das gewonnene zellfreie Material von den Blutzellen getrennt wird – z.B. durch sogenannte Gelröhrchen – dann setzen die Blutzellen Kalium frei und die Werte im Plasma und Serum steigen an. Für eine zuverlässige Kaliumbestimmung ist Heparin Plasma das geeignete Material, da hier auch die Freisetzung von Kalium aus den Thrombozyten während der Gerinnung vermieden wird. Alternativ kann Vollblut im Rahmen der sogenannten Blutgasanalytik verwendet werden, das aus anderen Gründen sehr schnell analysiert wird. Eine Pseudohyperkaliämie durch die Freisetzung von Kalium aus den Thrombozyten gibt es bei schnell prozessierten Proben nicht.
MedLabPortal: Gewundert hat uns, dass die Verfasser der Petition – ein Verein, der keine Fachgesellschaft ist – auf vermeintliche Argumente der Fachgesellschaften hinweisen. Konkret heißt es dazu: „Patient-Blood-Management: Die Umsetzung dringend empfohlener Konzepte von Fachgesellschaften wird durch die Vorgaben gefährdet, was dem Ziel einer optimalen Versorgung entgegensteht“. Sie vertreten die einzige Fachgesellschaft für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin in Deutschland – welche Ihrer Positionen meint die Petition?
Renz: Das Thema Patient-Blood-Management spielt gerade im Krankenhausbereich eine große Rolle, wenn schwer kranke Patienten auf Intensivstationen versorgt werden, bei denen zahlreiche Blutentnahmen in einem kurzen Zeitraum notwendig sind. Hier gibt es erfolgreiche Bemühungen, die zur Analytik benötigte Blutmenge gering zu halten, um zu vermeiden, dass Bluttransfusionen verabreicht werden müssen. Hier bietet Heparin Blut einen großen Vorteil, da die Ausbeute ca. 10 % höher ist als bei Serum. Gerade im niedergelassenen Bereich werden häufig noch relativ große Blutentnahmeröhrchen mit ca. 7 ml Blutvolumen verwendet. Im Krankenhausbereich liegen diese Abnahmemengen meistens unter 4 ml. Die Verwendung von Heparin-Plasma unterstützt also die richtigen Bemühungen beim Patient Blood Management.
MedLabPortal: Die Petition verweist auf eine Studie, die wir uns angesehen haben: Time as a significant factor in the release of potassium from lithium heparin plasma and serum | PLOS ONE). Entspricht diese Studie aus Sicht der Fachgesellschaft den Peer reviewed Standards – und handelt es sich um eine Peer reviewed Studie?
Renz: Die Studie muss man sehr kritisch sehen. Bei der Zeitschrift PLOS One handelt es sich zwar um eine Zeitschrift mit Peer Review, wobei sie nicht spezialisiert für laboratoriumsmedizinische Fragestellungen ist. Die grundsätzliche Beobachtung, dass mit zunehmender Zeit aus den Blutzellen Kalium freigesetzt wird, ist auch zutreffend und seit Jahrzehnten bekannt. Die Interpretation der Daten kann allerdings nicht akzeptiert werden. Aus den Tabellen und Abbildungen ist zu entnehmen, dass die Kaliumkonzentrationen sowohl bei Serum als auch bei Plasma nach 4, 6 und 8 Stunden deutlich angestiegen sind und damit nicht mehr der ursprünglichen Konzentration entsprechen. Daraus kann nur abgeleitet werden, dass diese alten Proben nicht verwendet werden dürfen, um die Kaliumkonzentration zu bestimmen. Die Autoren geben geben für einen Zeitraum von 8 Stunden bis zur Zentrifugation von Serum eine Pseudohyperkaliämieanteil von 38% an, der bei schnell verarbeiteten Proben bei 0,5 % lag. Dies stellt eine Patientengefährdung dar! Werden die Originaldaten anhand üblicher Hyperkaliämieklassifikationen eingeteilt, dann werden 166 der 201 Probanden falsch klassifiziert, wenn die Proben erst nach 8 Stunden zentrifugiert werden . Das entspricht einer Rate von mehr als 80%! Mit solchen falsch hohen Messwerten lässt sich keine Medizin machen und Patienten werden gefährdet.
MedLabPortal: Vielleicht geht es ums Geld und potenzielle Belastungen der Labore. Wie teuer würde die Umstellung auf Plasma als Standard im Vergleich zur heutigen Praxis sein?
Renz: In vielen Krankenhauslaboratorien wird seit Jahrzehnten standardmäßig mit Plasma in der klinischen Chemie gearbeitet. Hier fallen demzufolge natürlich keine zusätzlichen Kosten an. Bei der Umstellung im niedergelassenen Bereich möchte ich die Empfehlung aussprechen die Vielzahl von Messgrößen zukünftig statt aus Serum aus Heparinplasma durchzuführen. In den Praxen wird dann eine kleine Zentrifuge benötigt, die entweder schon vorhanden ist, oder aber durch ein einmaliges Budget zusätzlich finanziert werden muss. Für Messgrößen, die zwingend Serum als Material benötigen, wie zum Beispiel die Serum-Eiweiß Elektrophorese, die in der Regel heutzutage nur noch selten indiziert ist, muss dann ein zusätzliches Serumröhrchen verwendet werden.
MedLabPortal: Die Umstellung wird also die ausführenden Labore der Unikliniken und MVZ nicht in den Ruin treiben?
Renz: Sicher nicht. Und die verbesserte Präanalytik wird die Qualität der Patientenversorgung sicher positiv beeinflussen und den Stellenwert der Labormedizin grundsätzlich erhöhen..
MedLabPortal: Vielen Dank für Ihre Zeit.
Die Fragen stellten die MedLabPortal-Redakteure Marita Vollborn und Vlad Georgescu
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