Elektronische Patientenakte (ePA): Offener Brief erreicht Karl Lauterbach

von | Jan. 14, 2025 | Digitalisierung, Nicht kategorisiert, Politik

In einem offenen Brief warnen 28 zivilgesellschaftliche Organisationen vor einem verfrühten Roll-out der elektronischen Patient*innenakte ePA und bieten ihre Hilfe an, um Schwierigkeiten auszuräumen. Unterzeichnet haben den Brief unter anderem der Verbraucherzentrale Bundesverband, der Chaos Computer Club sowie die Deutsche Aidshilfe.

Die ePA startet morgen in einigen Modellregionen. Startklar ist sie aber noch lange nicht: Jüngst zeigten Hacker bei einer Tagung des Chaos Computer Clubs, wie Unbefugte über einen einzigen Praxiscomputer die ePA-Daten aller 73 Millionen gesetzlich Versicherter hätten abgreifen können.

„Die ePA enthält äußerst sensible Daten. Das System darf nicht bundesweit an den Start gehen, bevor Sicherheitslücken geschlossen und Bedenken ausgeräumt sind“, sagt Winfried Holz vom Vorstand der Deutschen Aidshilfe. „Der Hinweis der unabhängigen IT-Fachleute zeigt, wie wichtig es ist, die Kompetenz zivilgesellschaftlicher Organisationen in die Entwicklung der ePA einzubeziehen, um Lücken zu schließen und Probleme zu beheben. So kann auch Vertrauen in die ePA wachsen.“

Hacking Units at work. Prompt: DGKL
Hacking Units at work. Prompt: DGKL

Patient*innen-Interessen wahren

Das gilt nach Ansicht der Deutschen Aidshilfe auch bei den Interessen von Patient*innen, die immer noch nicht ausreichend berücksichtigt sind: „Viele Menschen mit HIV, Geschlechtskrankheiten und anderen stigmatisierten Erkrankungen möchten die Vorzüge der ePA nutzen, nicht jedoch ihre Diagnosen automatisch allen medizinischen Einrichtungen mitteilen, die sie besuchen. Informationen in der ePA zu sperren, ist jedoch unzumutbar kompliziert und erfordert viel Wissen. So werden Diagnosen zum Beispiel nicht nur über bestimmte Dokumente erkennbar, sondern auch über die Medikationsliste und die Abrechnungsdaten in der Akte. Diese müssen daher zusätzlich und für alle beteiligten Gesundheitseinrichtungen gesperrt werden“.

Die genaue Freigabe oder Sperrung von einzelnen Dokumenten oder Informationen nur für bestimmte Kliniken, Praxen oder Apotheken ist nicht möglich. Es fehlt eine Benutzeroberfläche, die an den Bedürfnissen der Patient*innen orientiert ist. „Hier gilt es dringend nachzubessern“, so die Deutsche Auidshilfe.

„Eine gut gemachte elektronische Patient*innenakte kann ein großer Fortschritt werden – wenn die Interessen der Patient*innen im Vordergrund stehen. Es ist nicht akzeptabel, dass Menschen gedrängt werden, ganz auf die ePA zu verzichten, weil sie nicht sicher genug oder zu kompliziert für ihre Bedürfnisse ist. Eine ,ePA für alle‘ muss auch leicht bedienbar für alle sein“, sagt Winfried Holz.

Diskriminierung gerade im Gesundheitswesen

Menschen mit HIV beispielsweise erlebten Diskriminierung besonders häufig im Gesundheitswesen, etwa wenn ihnen fachärztliche Behandlungen verweigert oder Datenschutzbestimmungen nicht eingehalten würden. Die Studie positive stimmen 2.0 habe dafür eindrückliche Daten und Beispiele hervorgebracht: Sechs von 10 Teilnehmenden berichteten von negativen Erfahrungen in den 12 Monaten vor der Befragung. Viele HIV-positive Menschen möchten daher ihre Diagnose in bestimmten Situationen nicht mitteilen.

Maximale Sicherheit, verständliche Aufklärung

„Wir fordern, dass die ePA erst breit eingesetzt wird, wenn sie wirklich dafür taugt. Die Erprobung in Modellregionen unter streng kontrollierten Bedingungen kann dabei helfen. Niemand darf in der Erprobungsphase unnötigen Risiken ausgesetzt werden. Die Kommunikation zur ePA muss eine leicht verständliche, ehrliche Aufklärung über Vorteile und Risiken beinhalten. Zivilgesellschaftliche Organisationen wie die Deutsche Aidshilfe haben hier gut vorgearbeitet, aber eigentlich stehen die Krankenkassen in der Pflicht“, sagt DAH-Vorstand Winfried Holz. „Und nicht zuletzt: Wer die elektronische Patient*innenakte nicht nutzen möchte, darf dafür nicht benachteiligt werden.“

Den offenen Brief haben unterzeichnet:

Mitzeichnende Organisationen in alphabetischer Reihenfolge

  1. AG Kritis
  2. Ärzteverband MEDI Baden-Württemberg
  3. BAG Selbsthilfe
  4. Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V. (BDP)
  5. Björn Steiger Stiftung
  6. Bundesverband Neurofibromatose
  7. Bündnis für Datenschutz und Schweigepflicht (BfDS)​​​​​​​
  8. Chaos Computer Club
  9. D64 – Zentrum für digitalen Fortschritt
  10. Deutsche Aidshilfe
  11. Deutsche Alzheimer Gesellschaft
  12. Deutsche DepressionsLiga
  13. Deutsche Hörbehinderten Selbsthilfe e.V. (DHS)
  14. Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft, Bundesverband
  15. Deutsche Rheuma-Liga Bundesverband
  16. Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband – Gesamtverband
  17. dieDatenschützer Rhein Main
  18. Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF)
  19. Freie Ärzteschaft e. V.
  20. Gen-ethisches Netzwerk
  21. Humanistische Union
  22. Innovationsverbund Öffentliche Gesundheit (InÖG)
  23. Kinder- und JugendlichenpsychotherapeutInnen in Westfalen-Lippe e.V.
  24. LAG Selbsthilfe Rheinland-Pfalz
  25. Landesvereinigung Selbsthilfe Berlin
  26. Patientenrechte und Datenschutz e. V.
  27. SUPERRR Lab
  28. Verbraucherzentrale Bundesverband

Einzelpersonen in alphabetischer Reihenfolge

  1. Kristina Achterberg, Kinder- u. Jugendlichenpsychotherapeutin, Kösching
  2. Matthias Bauer, Kinder- u. Jugendlichenpsychotherapeut, Kösching
  3. Regine Bielecki, Psychologische Psychotherapeutin, Mönchengladbach
  4. Anke Domscheit-Berg, Abgeordnete des Bundestages und Digitalpolitische Sprecherin der Gruppe DIE LINKE im Bundestag
  5. Prof. Dr. rer. nat. Peter Gerwinski, Arbeitsgruppe Hardwarenahe IT-Systeme, Hochschule Bochum – Technik, Wirtschaft, Gesundheit
  6. Juliane Göbel, Psychotherapeutin, Bernstadt auf dem Eigen
  7. Katharina Groth, Psychologische Psychotherapeutin, Geisenheim
  8. Sabine Grützmacher, MdB, Bündnis 90/Die Grünen
  9. Dr. Sven Herpig, Lead for Cybersecurity Policy and Resilience, interface
  10. Prof. Ulrich Kelber, Parlamentarischer Staatssekretär a.D.
  11. Julia Rasp, Psychotherapeutin in Ausbildung
  12. Elisabeth Reich, Psychologische Psychotherapeutin, Marburg
  13. Thomas Schäfer, Bündnis 90/Die Grünen, Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Digitales und Medien, München
  14. Katharina Schwietering, Psychotherapeutin, Pinneberg
  15. E. Walther, Psychotherapeutin
  16. Katharina Wendling, Psychologische Psychotherapeutin, Köln
  17. Benedikt Wildenhain, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Hochschule Bochum

Weiterführende Informationen:

Offener Brief an Bundesminister Lauterbach

Handreichung der Deutschen Aidshilfe zum selbstbestimmten Umgang mit der ePA

Studie positive stimmen 2.0 zur Diskriminierung von Menschen mit HIV

Lesen Sie auch:

Freie Ärzteschaft kritisiert Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) scharf – MedLabPortal


Redaktion: X-Press Journalistenbüro GbR

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