Disorazol Z1: Eine Meldung und ihre Geschichte
(Kommentar) Die Nachricht aus Magdeburg machte am 2. April die ganz große Runde: Forschende aus Magdeburg hätten, so berichteten Deutschlands Medien nahezu unisono, den ganz großen Wurf im Kampf gegen Krebs gelandet. Von Disorazol Z1 war da die Rede, davon, dass Magdeburger Forscher diesen Wirkstoff gegen Krebs entdeckt hätten. Oder hergestellt. Oder wir auch immer – vom “Durchbruch im Kampf gegen Krebs” war die Rede. Ob Focus, Bild oder Stuttgarter Zeitung – wer diese Story, vermutlich über eine deutsche Presseagentur verbreitet, las, musste hoffen.
Dass nichts von alledem wahr ist, konnten Userinnen und User unserer Special Interest Seite MedLabPortal hingegen bereits am 1. April lesen, als wir über Disorazol Z1 vor allen Agenturen und vor allem vor dem bundesweiten medialen GAU berichteten. Ein Durchbruch? Ja. Aus chemischer Sicht gelang die Totalsynthese einer Substanz, die seit langem bekannt ist und die zytotoxische Eigenschaften aufweist.
Ein Durchbruch im Kampf gegen Krebs? Mitnichten. Denn um herauszufinden, ob Disorazol Z1 Tumorzellen – und wenn ja, welche – bei Patienten mit Krebs wirksam bekämpft, sind langwierige klinische Untersuchungen nötig. Nicht umsonst dauert die Entwicklung eines Arzneimittels rund 10 bis 12 Jahre und erfordert klare Abläufe. Studien der klinischen Phase 1 bis 3 müssen überstanden werden, bevor eine Aussage über einen Durchbruch gemacht werden kann.

Die Leistung der Magdeburger Forschenden in Sachen Synthese ist bemerkenswert – darf aber Medien nicht als Grundlage für falsche Tatsachenbehauptungen dienen. Wer derartige Medizin-Fake-News produziert diskreditiert nicht nur die Arbeit seriöser Medizinjournalisten, sondern auch jene der Forschenden.
Dass derartige Fehler immer wieder passieren, ist freilich kein Zufall. Etliche Verlage haben ihre Wissenschaftsredaktionen eingestampft, eine Dokumentation gibt es kaum noch, und ohnehin liefern nur noch wenige Zentralredaktionen Inhalte für nahezu alle “großen” Medien. Erfolgt der Fehler auf Ebene des Lieferanten, überprüft niemand mehr die Inhalte auf Richtigkeit, sobald sie ankommen.
Doch gerade im Bereich Medizinberichterstattung ist Präzision elementar. Falsche Berichte wecken falsche Hoffnungen. Todkranke Menschen und ihre Angehörige werden unnötig zusätzlich belastet – spätestens dann, wenn der behandelnde Arzt die nötige Aufklärung leistet.
Es gibt freilich auch wohltuende Ausnahmen in deutschen Blätterwald. So schrieb SZ-Redakteurin Christina Berndt, für die wir selbst vor 20 Jahren bei der Süddeutschen Zeitung im Bereich Wissenschaft als Freelancer tätig waren, einen beachtenswerten Artikel über Disorazol Z1. Ein Durchbruch? Die Frage beantwortete die Grande Dame des Wissenschaftsjournalismus mit zwei worten: “Von wegen”.
Marita Vollborn und Vlad Georgescu kommentierten
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Sensation: Totalsynthese von Disorazol Z1 gelungen – MedLabPortal
Redaktion: X-Press Journalistenbüro GbR
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