Chronisch-entzündliche Darmerkrankung: Bluttest kann Therapieerfolg vorhersagen

von | Nov. 8, 2024 | Forschung, Gesundheit, Nicht kategorisiert

Einem Forscherteam aus Berlin und Bonn ist es gelungen, einen Biomarker zu identifizieren, der anzeigt, ob die Therapie mit einem bestimmten immunmodulierenden Medikament erfolgreich sein wird oder nicht. Bislang musste während des Behandlungsprozesses quasi ausprobiert werden, welche Therapie anschlägt, da die Betroffenen unterschiedlich auf die Medikamente ansprechen. Der neue Bluttest ermögliche nun eine gezielte Therapie.

Bluttest sagt Behandlungserfolg voraus (Quelle/Copyright: Arne Sattler/Charité)
Bluttest sagt Behandlungserfolg voraus (Quelle/Copyright: Arne Sattler/Charité)

Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa werden durch unkontrollierte Aktivierung von Immunzellen im Darm hervorgerufen. Die Betroffenen leiden unter Bauchschmerzen, Durchfall und Müdigkeit. Heilbar sind chronisch-entzündliche Darmerkrankungen nicht. Bislang können nur die Symptome gelindert und die Entzündung kontrolliert werden. „Als klinischer Wissenschaftler bin ich in die Betreuung von Patienten aktiv eingebunden“, sagt Prof. Ahmed Hegazy von der Medizinischen Klinik für Gastroenterologie, Infektiologie und Rheumatologie der Charité. „Da die Krankheit in Schüben erfolgt und oft unvorhersehbar aufflammt, muss die Behandlung immer wieder neu angepasst werden. Eine Vorhersage des individuellen Krankheitsverlaufs und des Ansprechens der Patienten auf unterschiedliche Therapieoptionen ist bislang nicht möglich – das macht die Behandlung so herausfordernd.“

Als sehr wirksame und nebenwirkungsarme Behandlungsmöglichkeit gilt die sogenannte Anti-Integrin-Therapie. Sie verhindert, dass bestimmte Immunzellen in den Darm eindringen und Entzündungsprozesse auslösen. Das Medikament Vedolizumab, ein spezifischer Antikörper, wirkt dabei als Blocker: Es bindet sich an die T-Helferzellen, die dadurch nicht mehr in den Darm einwandern können. „Bei rund zwei Drittel der Patienten ist die Anti-Integrin-Therapie sehr wirksam. Bei einem Drittel dagegen gar nicht. Bei wem die Therapie wirkt, können wir bislang nur durch Ausprobieren herausfinden. Das ist mühsam, zeit- und kostenintensiv und für die Betroffenen oftmals ziemlich frustrierend“, sagt Ahmed Hegazy. „Hilfreich wäre ein Biomarker, der vorab anzeigen kann, ob die Therapie erfolgversprechend sein wird oder nicht. Genau danach haben wir in unserer Studie gesucht.“

Grundlage für die umfangreichen Untersuchungen waren 47 Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen. Ihnen wurde vor und sechs Wochen nach Beginn der Behandlung mit Vedolizumab Blut abgenommen. Die Proben untersuchten die Forschenden mithilfe moderner Analysemethoden wie Massenzytometrie, Einzelzell-RNA-Sequenzierung und Serumproteomik. „Wir haben verschiedene Arten von Immunzellen und bestimmte Proteine in den Fokus genommen und Ausschau nach möglichen Veränderungen gehalten, die sich durch die Therapie ergaben“, erklärt Ahmed Hegazy. „Die umfangreichen Daten durchliefen eine Analyse unter Anwendung von maschinellem Lernen. Maschinelles Lernen ist ein Bereich der künstlichen Intelligenz, der Algorithmen und statistische Modelle nutzt, damit Computer aus Daten lernen und Muster erkennen können, ohne explizit programmiert zu werden. Auf diese Weise konnten wir tatsächlich Muster identifizieren, die dabei helfen vorherzusagen, welche Patienten mit größerer Wahrscheinlichkeit auf die Therapie ansprechen werden.“ Dieselben Muster fand das interdisziplinäre Team aus Medizin, Bioinformatik, Mathematik und Biologie, dem auch Forschende des Berlin Institute of Health in der Charité (BIH), des Deutschen Rheuma-Forschungszentrums Berlin (DRFZ) und der Universität Bonn angehörten, in Untersuchungen mit einer weiteren Patientengruppe. Sie bestand aus 26 Teilnehmenden, anhand derer die Forschenden ihre Untersuchungsergebnisse bestätigten.

Ein besonders aussagekräftiges Molekül war das Zellteilungsprotein KI67, das verstärkt von sich teilenden T-Helferzellen produziert wird. Patienten, bei denen vor der Therapie eine hohe Anzahl solcher Zellen im Blut nachgewiesen wurde, zeigten keinen Therapieerfolg mit Vedolizumab. „Wir konnten das molekulare Phänomen dahinter entschlüsseln: Diese T-Helferzellen besitzen keine Bindungsstelle für Vedolizumab, sodass sie ungehindert in den Darm einwandern und Entzündungen weiter befeuern können“, erklärt Hegazy. „Diese Zellen bilden alternative Oberflächenstrukturen, die ihre Wanderung in den Darm ermöglichen. Aus diesem Grund ist KI67 ein guter Indikator für das Vorhandensein Vedolizumab-resistenter T-Helferzellen.“

Ihre Ergebnisse wollen die Forschenden in großangelegten multizentrischen Studien verifizieren und die Zuverlässigkeit des gefundenen Biomarkers eingehend prüfen. Sie werden die Nachweis- und Messmethode weiterentwickeln, sodass sie in die klinische Routine integriert werden kann. „Zuverlässige Biomarker sind der Schlüssel für eine individualisierte Therapie und damit eine bessere Behandlung für unsere Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen“, sagt Prof. Britta Siegmund, Direktorin der Klinik. Die Entscheidung für die individuell passende Therapieform kann dann schneller und gezielter getroffen werden. Ein Schritt in Richtung personalisierter Medizin, der den Betroffenen frühzeitig Klarheit gibt.

Originalpublikation

Multimodal Profiling of Peripheral Blood Identifies Proliferating Circulating Effector CD4+ T Cells as Predictors for Response to Integrin α4β7–Blocking Therapy in Inflammatory Bowel Disease – ScienceDirect

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