Blickbewegungen führen zu verschiedenen Versionen desselben Films
Füße, Hände, Nasen, Ohren – menschliche Körper bestehen aus immer gleichen Teilen, aber ihre Anatomie unterscheidet sich von Person zu Person. Das gilt auch für das Gehirn und seine Aktivitätsmuster. Neurowissenschaftlerinnen und Neurowissenschaftler nutzen funktionelle Magnetresonanztomographie und maschinelles Lernen, um diese Gehirnaktivitäten vergleichbar zu machen. Diese Techniken ermöglichen es seit etwa einem Jahrzehnt, Aktivitätsmuster zwischen verschiedenen Gehirnen zu „übersetzen“.
Petra Borovska und Prof. Dr. Ben de Haas von der Abteilung für Allgemeine Psychologie der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) haben diese Technologie genutzt, um die Folgen individueller Blickbewegungen zu untersuchen. Sie haben analysiert, wie gut man die Gehirnaktivität einer Person anhand der Aktivität einer anderen Person vorhersagen kann, während 19 Freiwillige denselben Film betrachteten – entweder frei oder während sie passiv auf die Mitte des Bildschirms schauten. Natürliche Blickbewegungen führten im Vergleich zur passiven Beobachtung zu deutlich stärkeren Aktivierungen in den visuellen Zentren des Gehirns. Diese Aktivierungen waren jedoch so individuell, dass es schwieriger wurde, die Gehirnaktivität von einer Person auf eine andere zu übertragen.
„Blickbewegungen galten traditionell als einfache Reaktion auf das, was vor unseren Augen geschieht“, erklärt de Haas. „Aber inzwischen wissen wir, dass das nicht alles ist. Blickbewegungen sind so individuell wie Persönlichkeitsmerkmale. Einige Menschen fokussieren mehr auf Gesichter, andere auf Text oder andere Details.” Borovska ergänzt: “Wir hatten die Vermutung, dass diese individuellen Blickgewohnheiten zu einer einzigartigen Welt in den Köpfen der Menschen führen. Jetzt wissen wir: Das stimmt! Wir konnten sogar vorhersagen, wie sehr sich die Gehirnaktivitätsmuster zwischen zwei Menschen unterscheiden, wenn wir die Ähnlichkeit ihrer Blickbewegungen in einem separaten Experiment erfasst haben, mit mehreren Tagen Abstand. Es ist erstaunlich, dass Blickbewegungen zu stärkerer neuronaler Aktivität führen, diese Aktivitätsmuster jedoch gleichzeitig weniger vergleichbar machen. Normalerweise bedeutet ein stärkeres Signal klarere Daten, aber hier ist das Signal – also die neuronale Repräsentation des Films – eben verschieden, eine Art director’s cut des individuellen Hirns.”
Das Team untersucht derzeit, wie sich Blickbewegungen im Laufe des Lebens entwickeln und wie sie unser Verständnis von Szenen und alltäglichen Aufgaben beeinflussen. „Es gibt noch so viel zu entdecken“, meint de Haas. “Man kann sogar den Sitznachbarn im Kino fragen: ‘Welchen Film hast Du gesehen?’”
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