Bioterrorismus und Fußball EM 2024: “Die Bedrohungslage ist in den zurückliegenden Jahren deutlich komplexer geworden”
DGKL News: Herr Wolter, werden Sie sich im Juni eins der EM-Fußballspiele im Stadion ansehen?
Wolter: Eher nicht.
DGKL News: Wir fragen, weil das RKI bereits sehr genaue Anleitungen für den Fall eines bioterroristischen Angriffs publiziert hat. Darin wird der Labordiagnostik eine besondere Rolle zugesprochen…(Wir berichteten: DGKL: EM 2024: Labormedizin soll Bioterrorismus-Abwehr stützen.)
Wolter: Wichtig ist, dass wir die potenzielle Bedrohung sehr ernst nehmen, gleichzeitig aber nicht in Panik verfallen. Niemand muss aus Angst vor einem (Bio-)Terroranschlag einen Stadionbesuch meiden. Die Wahrscheinlichkeit, auf dem Weg von einem Auto erfasst und getötet zu werden, ist deutlich größer. Aber ja, der Labormedizin kommt auch hier – wie in vielen Bedrohungslagen – eine Schlüsselrolle zu.
DGKL News: Und der kann sie gerecht werden?
Wolter: Gewiss! Die Labormedizin in Deutschland ist hochprofessionell und sehr gut aufgestellt. Wir konnten das in der Corona-Pandemie sehen. Da mag viel schiefgelaufen sein, doch die Labormedizin hat herausragend funktioniert. Da wurden im wahrsten Sinne des Wortes über Nacht enorme Analysekapazitäten geschaffen. Das sind auch logistische Meisterleistungen. Hier wurde in vielen Fällen sehr schnell und – man mag das gar nicht glauben in Deutschland – unbürokratisch gehandelt. Ich denke, in echten Krisenfällen können wir sehr viel mehr leisten, als manche denken.
DGKL News: Bei allem Respekt vor der wichtigen Arbeit des RKI – wenn jemand mit Anthraxerregern ein Stadion betritt, wird die Gefahrenlage nicht nach 90 Minuten sichtbar. Sind die Notfallpläne für bioterroristische Angriffe nicht schlichtweg unrealistisch?
Wolter: Die Inkubationszeit beträgt hier wenige Stunden bis zu drei Trage. Von daher wird die Gefahrenlage nicht so schnell sichtbar. Mir ist auch kein Erreger bekannt, bei dem Sie sich bei Betreten eines Fußballstadions infizieren und beim Verlassen tot umfallen. Das ist ja das heimtückische bei einem Angriff mit Biowaffen – im Vergleich zum Beispiel mit Chemiewaffen. Was den „Notfallplan“ des RKI anbetrifft: Das sind ja nur ein paar Stichpunkte auf dessen Webseite, wo gezeigt wird, über welche Werkzeuge das RKI grundsätzlich verfügt. Wir sind hier in Deutschland aber schon gut aufgestellt.
DGKL News: Nun birgt die EM ein weiteres Gefahrenpotenzial für eingebrachte Erreger. Ein Angriff würde nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa treffen. Immerhin reisen die Fans nach der EM nach Hause.
Wolter: Der Einsatz einer Biowaffe ist kaum steuerbar. Der Erreger kann sich unkontrolliert verbreiten – und damit auch den Angreifer selbst treffen. Zunächst einmal ist es aber gar nicht so einfach, eine Biowaffe einzusetzen. Sie müssen so etwas erst einmal „gebaut bekommen“. Und auch die Ausbringung ist nicht ganz trivial.
DGKL News: Sie haben Recht. Hochpathogene Erreger kauft man nicht im Supermarkt. Man findet sie aber in Hochsicherheitslabors der Kategorie BSL-3 oder BSL-4. Dass dort beschäftigte Mitarbeiter etwas mitgehen lassen, erscheint Ihnen unrealistisch?
Wolter: Wir brauchen in Deutschland ein anderes Risikobewusstsein. Hier wird man schnell als paranoid oder als Spinner mit zu viel Fantasie und schlechten Filmvorlieben abgetan, wenn man auf Sicherheitsrisiken hinweist. Zum Glück hat sich da schon etwas getan in den letzten Jahren. Aber man ist immer noch viel zu naiv – das gilt besonders für die Wissenschaft.
DGKL News: Da entgegnen wir gerne mit folgendem Worst-Case-Szenario: Wer an einer Uni im BSL-3 Labor arbeitet, wird vom Staat nicht zu Hause geschützt – ist also erpressbar. Spätestens wenn die eigene Familie von Terroristen oder Kriminellen als Druckmittel eingesetzt wird, endet vermutlich die Loyalität zum Arbeitgeber. Was sollten hochsensible Labore beachten?
Wolter: Das ist ein guter Punkt. Die Bedrohungslage ist in den zurückliegenden Jahren deutlich komplexer geworden. Und es gibt viele hochprofessionelle Akteure – auf der falschen Seite. Social Engineering – also die Manipulation von Menschen über unterschiedlichste Methoden – spielt eine große Rolle. Doch das Thema wird leider immer noch von vielen kaum ernst genommen. Vielleicht sollte das BfV (BfV steht für Bundesamt für Verfassungsschutz, Anmerkung der Redaktion) eine Awareness-Kampagne in dem Bereich starten. Wir als DGKL unterstützen hier gerne. Vielleicht mag BfV-Präsident Haldenwang sich ein Bild von einem medizinischen Labor machen und dann können wir besprechen, wie wir diese kritische Infrastruktur besser schützen können – ein bisschen wie in alten Zeiten.
DGKL News: Meinen Sie, dass man sich neben dem Bereich der Cybersicherheit allmählich auf den Bereich Bioterror-Abwehr fokussieren sollte?
Wolter: Ich habe nicht das Lagebild unserer Sicherheitsbehörden, aber ich denke, dass wir uns in Deutschland ganz grundsätzlich stärker auf Bedrohungen unterschiedlichster Art einstellen müssen. Finnland und Schweden haben das Konzept der „totalen Verteidigung“. Wir müssen auch in Deutschland nicht nur unsere kritischen Infrastrukturen schützen, wir müssen alle Bereiche einbeziehen. Wir müssen viel mehr in Sachen Zivilschutz tun und wir müssen vorbereitet sein. Dazu gehört es auch, in Zeiten ohne akute Krise gewisse Überkapazitäten, Redundanzen zu haben. Wir haben es in der jüngeren Vergangenheit mehrfach gemerkt, was es bedeutet, wenn alles aus Gründen der Effizienz auf Kante genäht ist. Die Labormedizin ist in vielen Krisensituationen von elementarer Bedeutung. Wir brauchen hier starke Kapazitäten und vor allem auch eine hochprofessionelle Forschung!
DGKL News: Große Unternehmen schützen sich bereits entsprechend. Pfizer und BionTech etwa beschäftigen Profis, die aus dem Bereich Intelligence kommen. Also ex-Nachrichtendienstler, Terrorspezialisten, ex-Militärs. Müssen öffentliche Einrichtungen wie Universitäten umdenken?
Wolter: Auf jeden Fall! Wir leben de facto nicht mehr in Friedenszeiten. Wir sind bereits Angriffen ausgesetzt: Cyber-Angriffe legen Behörden, Universitäten und Unternehmen lahm. Fakenews fluten die sogenannten Sozialen Medien und wiegeln die Bevölkerung auf. Agenten operieren auf unserem Staatsgebiet und begehen Anschläge. Spione, Landesverräter werden enttarnt. Parteien werden von ausländischen Finanziers unterwandert. Die Liste ließe sich fortsetzen. Behörden, Unternehmen, Universitäten, Labore – alle stehen im Fokus und müssen sich entsprechend aufstellen.
DGKL News: Deutschland hat aber nach wie vor mit der Digitalisierung zu kämpfen, wenn es um Sicherheitsbelange geht. Uns wurde ein Smartphone auf Rügen geklaut – auf diese Weise erfuhren wir, dass die Polizei in Mecklenburg-Vorpommern gar nicht mitbekommt, was in Niedersachsen passiert, und umgekehrt. Was muss sich da ändern, wenn wir Bioterrorismus verhindern wollen?
Wolter: Vieles. Die LKÄ müssen viel stärker miteinander vernetzt werden und besser mit dem BKA zusammenarbeiten. Hier ist tatsächlich viel im Umbruch. Ich durfte BKA-Chef Holger Münch hier auch als sehr tatkräftig erleben.
DGKL News: Nun kommen Labore an Substanzen heran, die potenziell gefährlich sind. Wären wir Terroristen – bitte beachten Sie den Konjunktiv! – würden wir eine Tarnfirma gründen. Ein Labor anmieten. Und loslegen. Zuständig wäre in unserem Fall das örtliche Gewerbeamt. Das sind sehr freundliche Mitarbeiter – was in diesem Szenario ein Vorteil für die Bad Guys wäre.
Wolter: Wenn es so einfach wäre, hätten wir vermutlich schon mehr als einen Anschlag erlebt. Wie einfach es ist, die wirklich gefährlichen Zutaten zu bestellen, vermag ich nicht zu beurteilen.
DGKL News: Die Amerikaner sind uns da weit voraus. Wer eine Firma gründet, muss die Daten an das Financial Crimes Enforcement Network übertragen, also an eine Einrichtung auf Bundesebene. Von dort aus werden Besitzer und Geldströme nachrichtendienstlich überwacht. Nicht gerade ein Segen für den Datenschutz, aber sehr effizient. Warum haben wir diese Möglichkeiten in Deutschland nicht?
Wolter: Ich bin ein großer Verfechter des Datenschutzes. Insbesondere eine anlasslose Überwachung von Bürgern halte ich für hochproblematisch. Wenn es aber um Finanzströme von Unternehmen geht, wäre mehr Transparenz sicherlich gut und richtig. Fragen Sie doch unseren Finanzminister, wie er das sieht.
DGKL News: Herr Wolter, Danke für Ihre Zeit.
Die Fragen stelllten Marita Vollborn und Vlad Georgescu
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