Marburger Forschende haben erstes fraktales Molekül in der Natur entdeckt

von | Apr 11, 2024 | Allgemein

Ein mikrobielles Enzym, eine Citrat-Synthase, ist das erste bekannte molekulare Fraktal. Es handelt sich um ein sogenanntes Sierpinski-Dreieck. | Quelle: Dr. Georg Hochberg | Copyright: Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie/Hochberg

Ein internationales Forscherteam unter der Leitung von Gruppen des Marburger Max-Planck-Instituts in Marburg und der Phillips-Universität ist jetzt auf das erste regelmäßige molekulare Fraktal in der Natur gestoßen. Sie entdeckten ein mikrobielles Enzym – die Citrat-Synthase aus einem Cyanobakterium – das sich spontan zu einem regelmäßigen fraktalen Muster, dem so genannten Sierpiński-Dreieck, zusammensetzt. Dabei handelt es sich um eine sich unendlich wiederholende Reihe von Dreiecken, die aus kleineren Dreiecken bestehen.

„Wir sind völlig zufällig auf diese Struktur gestoßen und konnten es kaum glauben, als wir sie zum ersten Mal unter einem Elektronenmikroskop betrachteten”, sagt Erstautorin Franziska Sendker. „Das Protein bildet diese wunderschönen Dreiecke, und während das Fraktal wächst, sehen wir diese immer größeren dreieckigen Lücken in der Mitte, was völlig anders ist als jede Proteinanordnung, die wir je zuvor gesehen haben”, fährt sie fort.

In Zusammenarbeit mit Strukturbiologen der Universität Marburg gelang es dem Team schließlich, mit Hilfe der Elektronenmikroskopie aufzuklären, wie die molekulare Struktur diese fraktale Geometrie bedingt. „Dies war eine der schwierigsten, aber auch faszinierendsten Strukturen, die ich in meiner Laufbahn gelöst habe”, sagt Jan Schuller, dessen Gruppe an der Strukturbestimmung beteiligt war. „Das Problem bestand darin, dass unsere Bildanalysetechniken darauf nicht ausgerichtet sind. Sie wurden durch die Tatsache verwirrt, dass die kleineren Dreiecke Unterstrukturen größerer Dreiecke sein können. Der Algorithmus konzentrierte sich auf diese kleineren Dreiecke, anstatt die größeren Strukturen zu sehen, zu denen sie gehörten”, erklärt er.

Anhand der vorliegenden Struktur wurde deutlich, wie dieses Protein sich zu einem Fraktal zusammensetzen kann. Normalerweise verläuft die Selbstorganisation von Proteinen sehr symmetrisch: Jede einzelne Proteinkette nimmt die gleiche Anordnung zu ihren Nachbarn ein. Diese symmetrischen Wechselwirkungen führen immer zu Strukturen, die auf großen Skalen glatt werden. Der Schlüssel zum fraktalen Protein liegt darin, dass sein Zusammenbau gegen diese Symmetrie-Regel verstößt. Verschiedene Proteinketten gingen an verschiedenen Positionen im Fraktal leicht unterschiedliche Wechselwirkungen ein. Auf diese Weise entstand das Sierpinski-Dreieck mit seinen großen inneren Hohlräumen anstelle eines regelmäßigen Molekülgitters.

Hat diese bizarre Anordnung irgendeinen Nutzen?

„Das Prinzip der Selbstorganisation wird häufig zur Regulierung von Enzymen genutzt, aber in diesem Fall scheint es dem Cyanobakterium, in dem dieses Enzym vorkommt, ziemlich egal zu sein, ob sich seine Citrat-Synthase zu einem Fraktal zusammensetzen kann oder nicht.“ Als das Team das Bakterium genetisch manipulierte, um zu verhindern, dass sich seine Citrat-Synthase zu den fraktalen Dreiecken zusammensetzt, wuchsen die Zellen unter verschiedenen Bedingungen genauso gut. „Dies veranlasste uns zu der Frage, ob es sich dabei vielleicht nur um einen harmlosen Zufall der Evolution handelt. Sozusagen ein Unfall, der passiert, weil die betreffende Struktur nicht allzu schwierig zu konstruieren ist”, sagt der Evolutionsbiologe Georg Hochberg, einer der Hauptautoren der Studie.

Um ihre Theorie zu überprüfen, spielte das Team unter Laborbedingungen die evolutionäre Entstehung der fraktalen Anordnung nach. Durch die Wiederbelebung einer Citrat-Synthase eines evolutionär alten Cyanobakteriums mit Hilfe statistischer Methoden und anschließender experimenteller Untersuchungen, konnten sie zeigen, dass die Anordnung recht plötzlich durch eine sehr geringe Anzahl von Mutationen entstand. Sie wurde im Anschluss sofort in mehreren Cyanobakterienlinien wieder verloren, sodass sie nur in dieser einzigen Bakterienart intakt blieb.

„Wir können nie ganz sicher sein, warum etwas in der Vergangenheit passiert ist. Doch in diesem Fall finden wir tatsächlich alle Merkmale eines evolutionären Zufalls: eine scheinbar komplexe biologischen Struktur, die ohne guten Grund entstanden ist, einfach weil es sehr leicht war, sie zu entwickeln”, sagt Hochberg.


Originalpublikation:
Sendker, F.L.; Lo, J.K.; Heimerl, T.; Bohn, S.; Persson, L-J.; Mais, C.N.; Sadowska, W.; Paczia, N.; Nußbaum, E.; del Carmen Sánchez Olmos, M.; Forchhammer. K.; Schindler, D.; Erb, T.J.; Benesch, J.L.P.; Marklund, E.; Bange, G.; Schuller, J.M.; Hochberg, G.K.A.
Emergence of fractal geometries in the evolution of a metabolic enzyme
Nature April 10 (2024), DOI: 10.1038/s41586-024-07287-2