Gendermedizin: KI-gestütztes Verfahren verbessert die Herzdiagnostik
Ein beliebtes Bewertungssystem zur Einschätzung der Wahrscheinlichkeit, dass eine Person innerhalb der nächsten 10 Jahre eine Herz-Kreislauf-Erkrankung entwickelt, ist der Framingham-Risiko-Score. Er basiert auf Faktoren wie Alter, Geschlecht, Cholesterinspiegel und Blutdruck.
Forscher in den USA und den Niederlanden haben nun anhand eines großen Datensatzes genauere kardiovaskuläre Risikomodelle als den Framingham Risk Score erstellt. Außerdem haben sie die Unterdiagnose von Frauen im Vergleich zu Männern quantifiziert. Die Ergebnisse wurden in Frontiers in Physiology veröffentlicht.
“Wir haben festgestellt, dass geschlechtsneutrale Kriterien keine angemessene Diagnosen bei Frauen ermöglichen. Würden geschlechtsspezifische Kriterien verwendet, wären Unterdiagnosen weniger schwerwiegend”, sagte Skyler St. Pierre, Forscher am Living Matter Lab der Stanford University. “Wir haben außerdem herausgefunden, dass das Elektrokardiogramm (EKG) die beste Untersuchung ist, um die Erkennung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowohl bei Männern, als auch bei Frauen zu verbessern.”
Anatomisch gesehen sind Frauen- und Männerherzen unterschiedlich. Frauenherzen sind zum Beispiel kleiner und haben dünnere Wände. Dennoch sind die Diagnosekriterien für bestimmte Herzkrankheiten bei Frauen und Männern gleich.
tatsächlich stellten die Forschenden fest, dass die Verwendung geschlechtsneutraler Kriterien zu einer starken Unterdiagnose von weiblichen Patienten führt.
Um genauere Vorhersagen für beide Geschlechter zu erhalten, nutzten die Wissenschaftler vier zusätzliche Messgrößen, die im Framingham-Risiko-Score nicht berücksichtigt werden: kardiale Magnetresonanztomographie, Pulswellenanalyse, EKGs und Ultraschall. Sie nutzten die Daten von mehr als 20.000 Personen aus der UK Biobank – einer biomedizinischen Datenbank, die Informationen von etwa einer halben Million britischer Personen im Alter von 40 Jahren und älter enthält -, die sich diesen Tests unterzogen hatten.
“Während herkömmliche klinische Modelle einfach zu verwenden sind, können wir jetzt mit Hilfe des maschinellen Lernens Tausende anderer möglicher Faktoren durchkämmen, um neue, aussagekräftige Merkmale zu finden, die die Früherkennung von Krankheiten erheblich verbessern könnten”, erklärt St. Pierre. Noch vor 10 Jahren standen diese Methoden nicht zur Verfügung, weshalb Bewertungsskalen wie der Framingham Risk Score seit einem halben Jahrhundert verwendet werden.
Mithilfe des maschinellen Lernens stellten die Forscher zudem fest, dass von den getesteten Messgrößen das EKG die Erkennung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowohl bei Männern, als auch bei Frauen am wirksamsten verbesserte. Dies bedeute jedoch nicht, dass die traditionellen Risikofaktoren keine wichtigen Instrumente für die Risikobewertung sind, so die Forscher. “Wir schlagen vor, dass Kliniker zunächst ein einfaches Screening mit traditionellen Risikofaktoren durchführen und dann in einem zweiten Schritt ein Screening mit EKGs für Patienten mit höherem Risiko vornehmen.
Die vorliegende Studie sei ein erster Schritt, um die Risikofaktoren für Herzkrankheiten zu überdenken.
Original Paper:
Frontiers | Sex-specific cardiovascular risk factors in the UK Biobank (frontiersin.org)