Tastsinn-Cortex altert schichtweise und weniger stark als gedacht

Das menschliche Gehirn altert weniger stark als bisher angenommen, insbesondere im Bereich der Hirnrinde, die für den Tastsinn zuständig ist. Dies zeigt eine Studie des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), der Universität Magdeburg und des Hertie-Instituts für klinische Hirnforschung an der Universität Tübingen, veröffentlicht in der Fachzeitschrift „Nature Neuroscience“. Anhand hochauflösender Hirn scans von etwa 60 Erwachsenen im Alter von 21 bis 80 Jahren sowie Untersuchungen an Mäusen liefern die Forschenden neue Erkenntnisse zur Alterung des primären somatosensorischen Cortex und dessen Funktion bei der Verarbeitung von Sinneseindrücken.
Die Hirnrinde, auch Cortex genannt, ist nur wenige Millimeter dick, faltig aufgebaut und wird mit dem Alter typischerweise dünner, was oft auf den Verlust von Nervenzellen zurückgeführt wird. Die aktuelle Studie konzentrierte sich auf den primären somatosensorischen Cortex, ein fingerbreites Areal an der Kopfoberseite, das taktile Signale verarbeitet. Dieser Bereich ist entscheidend für die Wahrnehmung des eigenen Körpers und die Interaktion mit der Umwelt, etwa beim Greifen von Gegenständen oder beim Gehen.

Mittels hochauflösender Magnetresonanztomografie (MRT) mit einer Magnetfeldstärke von sieben Tesla konnten die Forschenden filigrane Strukturen des Cortex in der Größe eines Sandkorns abbilden. Dabei entdeckten sie, dass die Hirnrinde schichtweise unterschiedlich altert. Während die tiefen Schichten mit zunehmendem Alter dünner werden, bleiben die mittleren und oberen Schichten, die sensorische Signale empfangen und verarbeiten, überraschend stabil oder werden teilweise sogar dicker. Dies deutet auf Neuroplastizität hin, also die Fähigkeit des Gehirns, sich auch im Alter anzupassen, insbesondere in stark genutzten Bereichen.
Die mittlere Schicht des Cortex dient als „Eingangstür“ für taktile Reize, während die oberen Schichten komplexere Aufgaben wie das Zusammenspiel benachbarter Finger beim Greifen übernehmen. Die tiefen Schichten modulieren Signale je nach Kontext, etwa um Reize wie das Tragen eines Rings auszublenden. Tests zur taktilen Empfindlichkeit und motorischen Fähigkeiten der Hand sowie funktionelle MRT bestätigten, dass die Funktionalität der mittleren und oberen Schichten auch im Alter weitgehend erhalten bleibt. Dies könnte erklären, warum trainierte sensomotorische Fähigkeiten wie das Schreiben auf einer Tastatur oft bis ins hohe Alter bestehen bleiben, während störende Einflüsse wie Lärm die Leistung älterer Menschen stärker beeinträchtigen.
Ein bemerkenswerter Befund ist, dass die tiefen Schichten trotz ihres Dickenverlusts einen erhöhten Myelin-Gehalt aufweisen, was auf Kompensationsmechanismen hinweist. Myelin unterstützt die Übertragung von Nervensignalen, und ein Anstieg bestimmter Nervenzellen in diesen Schichten scheint degenerative Prozesse teilweise auszugleichen. Vergleichsstudien an Mäusen bestätigten diese Beobachtungen, zeigten jedoch, dass diese Kompensation im sehr hohen Alter nachlässt.
Die Studie legt nahe, dass regelmäßige Stimulation des Gehirns durch aktive Nutzung die Alterung verzögern kann. Ein Beispiel ist ein Proband, der aufgrund einer angeborenen Fehlbildung nur einen Arm nutzte und eine dünnere mittlere Cortex-Schicht aufwies, was die Bedeutung intensiver Nutzung unterstreicht. Die Ergebnisse bieten Ansätze für präventive Maßnahmen, etwa durch gezielte Stimulation, um die Funktionalität des Cortex zu erhalten.
Die Forschenden betonen, dass diese Erkenntnisse einen optimistischen Blick auf das Altern ermöglichen. Sie deuten darauf hin, dass gezielte Aktivität die Anpassungsfähigkeit des Gehirns auch im Alter fördern kann, was neue Perspektiven für die Prävention altersbedingter Einschränkungen eröffnet.
Original Paper:
Redaktion: X-Press Journalistenbüro GbR
Gender-Hinweis. Die in diesem Text verwendeten Personenbezeichnungen beziehen sich immer gleichermaßen auf weibliche, männliche und diverse Personen. Auf eine Doppel/Dreifachnennung und gegenderte Bezeichnungen wird zugunsten einer besseren Lesbarkeit verzichtet.