Studie fordert erweiterte Kriterien für Lungenkrebs-Früherkennung

von | Nov. 17, 2025 | Forschung, Gesundheit

Zur Senkung der hohen Sterblichkeitsrate bei Lungenkrebs soll in Deutschland ab April 2026 ein Früherkennungsprogramm starten, das sich an Personen ab 50 Jahren mit langer starker Rauchhistorie richtet. Eine Veröffentlichung von Charité – Universitätsmedizin Berlin, Medizinischer Hochschule Hannover (MHH), LungenClinic Grosshansdorf und Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) zeigt nun, dass eine Auswahl der Teilnehmenden nicht nur nach Alter und Rauchhistorie, sondern nach zusätzlichen Kriterien mehr Krebsfälle frühzeitig erkennen lässt. Dies sei besonders für Frauen relevant, wie das Forschungsteam im Fachmagazin The Lancet Oncology beschreibt.

Jährlich werden in Deutschland bei etwa 57.000 Personen Lungenkrebs diagnostiziert, oft mit tödlichem Ausgang, da die Erkrankung meist zu spät entdeckt wird. Das geplante Programm soll bei Personen mit hohem Risiko mittels Computertomografie (CT) verdächtige Lungenveränderungen überprüfen. Bisher vorgesehen sind Teilnehmende zwischen 50 und 75 Jahren, die mindestens 25 Jahre stark geraucht haben und entweder noch rauchen oder vor weniger als zehn Jahren aufgehört haben, wobei der Tabakkonsum rechnerisch mindestens 15 Packungsjahre ergeben muss.

Niedrigdosis-CT-Aufnahme der Lunge einer 69-jährigen Raucherin. Die weiße rundliche Fläche im Lungengewebe deutet auf Lungenkrebs im Frühstadium hin. In diesem Stadium kann Lungenkrebs noch gut behandelt werden. | Quelle: Jens Vogel-Claussen | Copyright: © Charité | Jens Vogel-Claussen
Niedrigdosis-CT-Aufnahme der Lunge einer 69-jährigen Raucherin. Die weiße rundliche Fläche im Lungengewebe deutet auf Lungenkrebs im Frühstadium hin. In diesem Stadium kann Lungenkrebs noch gut behandelt werden. | Quelle: Jens Vogel-Claussen | Copyright: © Charité | Jens Vogel-Claussen

Die Daten der HANSE-Studie deuten darauf hin, dass diese Kriterien einige Personen mit hohem Risiko übersehen, die vom Programm profitieren könnten. Durch Berücksichtigung weiterer Faktoren ließen sich knapp 20 Prozent mehr Lungenkrebsfälle entdecken, wie der Leiter der Studie, Prof. Jens Vogel-Claussen, erklärt. Er ist Direktor der Klinik für Radiologie an der Charité und hat die Studie an der MHH initiiert.

Die im Rahmen des Deutschen Zentrums für Lungenforschung (DZL) durchgeführte Studie prüfte die Wirksamkeit eines CT-Screenings bei Auswahl nach dem umfassenden PLCOm2012-Score, der neben Alter und Rauchhistorie auch Bildungsstand, Gewicht, Vorliegen einer chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung (COPD), vergangene Krebserkrankungen und familiäre Lungenkrebsfälle einbezieht.

Verglichen wurden die Ergebnisse mit den geplanten Kriterien, die nur Alter und Rauchhistorie berücksichtigen (NELSON-Score). Allen Personen mit hohem Risiko nach einem der Scores wurden im Jahresabstand zwei Niedrigdosis-CT durchgeführt. Verdachtsfälle wurden in interdisziplinären Konferenzen geprüft und bei Bestätigung behandelt.

Bei rund 4.200 aktiven oder ehemaligen Rauchenden, die nach PLCOm2012 gescreent wurden, wurden 108 Lungenkrebsfälle gefunden, 19,4 Prozent mehr als in der NELSON-Gruppe mit rund 3.900 Personen und 85 Fällen. Mit dem erweiterten Score müssten etwa sechs Prozent mehr Personen gescreent werden, aber das Screening werde effizienter, da weniger CT-Untersuchungen pro Diagnose nötig seien, wie Prof. Martin Reck, Chefarzt des Onkologischen Schwerpunkts an der LungenClinic Grosshansdorf, feststellt.

Besonders Frauen profitierten vom erweiterten Kriterienkatalog. In der Studie erhielten 2,6 Prozent der Frauen eine Diagnose, verglichen mit 1,8 Prozent der Männer. Viele Frauen fielen aus dem engeren Katalog heraus, da sie trotz aktiven Rauchens weniger Zigaretten konsumiert hatten und die Einschlussschwelle nicht erreichten. Häufiger wiesen sie familiäre Lungenkrebsfälle, eigene Krebsvorgeschichten oder COPD auf, Faktoren, die bei Frauen stärker wirken könnten, aber im aktuellen Katalog nicht erfasst werden, wie Dr. Sabine Bohnet, Leiterin des Lungenkrebszentrums am UKSH-Campus Lübeck, erläutert.

Das Programm ziele darauf ab, die Sterblichkeit durch frühe Entdeckung und Behandlung zu senken. Die Studie zeige, dass eine Anpassung der Einschlusskriterien möglich und notwendig sei, um wichtige Risikogruppen nicht zu übersehen, resümiert Vogel-Claussen.

Die HANSE-Studie ist ein von Forschenden initiierter Trial und verglich NELSON-Kriterien mit einem PLCOm2012-Score bei einem Sechs-Jahres-Risiko von mindestens 1,58 Prozent. Teilnehmende wurden an MHH, UKSH-Campus Lübeck und LungenClinic Grosshansdorf rekrutiert, alle zertifizierte Lungenkrebszentren der Deutschen Krebsgesellschaft. Gefördert wurde sie durch das DZL und im Rahmen der Lung Ambition Alliance durch AstraZeneca. Die Studie wird fortgesetzt: Zwischen Herbst 2025 und Sommer 2026 erhalten bereits eingeschlossene Teilnehmende mit hohem Risiko ein weiteres CT-Screening. Zudem wird erstmals geprüft, ob Blutbiomarker eine noch frühere Diagnose ermöglichen, um Präzision und Wirksamkeit des Screenings zu steigern.

Original Paper:

Effectiveness of NELSON versus PLCOm2012 lung cancer screening eligibility criteria in Germany (HANSE): a prospective cohort study – The Lancet Oncology


Redaktion: X-Press Journalistenbüro GbR

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