Östrogen und Progesteron regen den Körper zur Herstellung von Opioiden an

Wissenschaftler der University of California in San Francisco (UCSF) haben einen bahnbrechenden Mechanismus entdeckt, der neue Wege in der Behandlung chronischer Schmerzen eröffnen könnte. Laut einer aktuellen Studie, die am 4. April im Fachjournal Science veröffentlicht wurde, können weibliche Hormone wie Östrogen und Progesteron Schmerzen unterdrücken, indem sie Immunzellen in der Nähe des Rückenmarks dazu anregen, Opioide zu produzieren. Diese natürlichen Schmerzmittel stoppen Schmerzsignale, bevor sie das Gehirn erreichen.
Die Entdeckung könnte nicht nur die Entwicklung neuer Therapien für chronische Schmerzen vorantreiben, sondern auch erklären, warum einige Schmerzmittel bei Frauen wirksamer sind als bei Männern und warum Frauen nach der Menopause häufiger unter Schmerzen leiden. Im Mittelpunkt der Forschung stehen sogenannte T-regulatorische Immunzellen (T-regs), die bislang vor allem für ihre entzündungshemmende Wirkung bekannt waren.

„Dass diese Zellen einen geschlechtsspezifischen Einfluss haben – gesteuert durch Östrogen und Progesteron – und dass dies nichts mit ihrer Immunfunktion zu tun hat, ist äußerst ungewöhnlich“, erklärt Elora Midavaine, PhD, Erstautorin der Studie und Postdoktorandin an der UCSF. Die Untersuchung wurde teilweise vom National Institutes of Health finanziert.
Die Forscher konzentrierten sich auf T-regs in den schützenden Schichten, den sogenannten Meningen, die das Gehirn und Rückenmark umgeben. Bis vor Kurzem nahm man an, diese Gewebe dienten lediglich dem Schutz des zentralen Nervensystems und der Abfallentsorgung. Erst in jüngerer Zeit wurden dort T-regs entdeckt. „Wir zeigen nun, dass das Immunsystem die Meningen nutzt, um mit weit entfernten Neuronen zu kommunizieren, die Empfindungen auf der Haut wahrnehmen“, sagt Sakeen Kashem, MD, PhD, Assistenzprofessor für Dermatologie und Mitautor der Studie.
Der Prozess beginnt, wenn ein Neuron – oft nahe der Haut – einen potenziell schmerzhaften Reiz registriert und ein Signal ans Rückenmark sendet. Das Team fand heraus, dass die Meningen im unteren Rückenmarksbereich reich an T-regs sind. Um deren Funktion zu verstehen, schalteten die Forscher diese Zellen bei Mäusen mit einem Toxin aus. Das Ergebnis war verblüffend: Weibliche Mäuse wurden ohne T-regs deutlich schmerzempfindlicher, während bei männlichen Mäusen kein Unterschied festzustellen war. Dies deutet darauf hin, dass weibliche Tiere stärker auf T-regs angewiesen sind, um Schmerzen zu regulieren.
„Es war faszinierend und zugleich rätselhaft“, sagt Kashem, der die Studie gemeinsam mit Allan Basbaum, PhD, leitete. „Zunächst war ich skeptisch.“ Weitere Experimente enthüllten eine bislang unbekannte Verbindung: Östrogen und Progesteron regen die T-regs an, das schmerzlindernde Enkephalin zu produzieren. Wie die Hormone dies genau bewirken, soll eine zukünftige Studie klären.
Schon jetzt könnte das Wissen um diesen geschlechtsspezifischen Mechanismus die Schmerztherapie verbessern. Ärzte könnten künftig Medikamente gezielter einsetzen, etwa bei Migränebehandlungen, die bei Frauen oft besser wirken. Besonders profitieren könnten Frauen nach der Menopause, die aufgrund sinkender Hormonspiegel häufig chronische Schmerzen erleben.
Original Paper:
Meningeal regulatory T cells inhibit nociception in female mice | Science
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Redaktion: X-Press Journalistenbüro GbR
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