Nobelpreis für Medizin: Bessere Diagnose von Blasenkrebs, Alzheimer oder Demenz

von | Okt 9, 2024 | Allgemein, Forschung, Gesundheit

Der Nobelpreis für Physiologie oder Medizin ging in diesem Jahr an Victor Ambros und Gary Ruvkun. Das teilte das Karolinska-Institut bereits am Montag in Stockholm mit. Was man in Stockholm nicht explizit betonte: Menschen mit Alzheimer, Blasenkrebs oder Demenz sind die wahren Gewinner der Entdeckung hinter dem diesjährigen Nobelpreis.

Die revolutionäre Entdeckung der microRNA geht auf die Forschung von Ambros und Ruvkun zurück, die sich in den späten 1980ern und frühen 1990ern mit dem kleinen Nematoden Caenorhabditis elegans beschäftigten. Sie fokussierten sich auf die Gene lin-4 und lin-14, welche für das Timing der Entwicklung des Wurms kritisch waren. Im Jahr 1993 publizierten sie ihre bahnbrechenden Ergebnisse in der Fachzeitschrift Cell, die offenbarten, dass lin-4 eine kurze RNA-Sequenz erzeugt, die sich an komplementäre Sequenzen in der lin-14 microRNA anlagert und dadurch die Produktion des Proteins wirksam unterbindet.

Der Nobelpreis für Medizin revolutioniert die Diagnose. Symbolbild. Credits: Pixabay
Der Nobelpreis für Medizin revolutioniert die Diagnose. Symbolbild. Credits: Pixabay

Anfangs fand diese Entdeckung kaum Beachtung in der wissenschaftlichen Gemeinschaft, da sie lediglich als Eigenart der Biologie von Würmern betrachtet wurde. Spätere Studien enthüllten jedoch, dass microRNAs weit verbreitet in der Natur vorkommen und eine zentrale Rolle in der Genregulation verschiedener Arten, einschließlich des Menschen, spielen. Die Erkennung von microRNAs als eine neue Klasse von regulatorischen Molekülen hat unser Verständnis der Genexpression und zellulärer Vorgänge grundlegend verändert und neue Forschungsrichtungen in der Entwicklungsbiologie, den Mechanismen von Krankheiten und möglichen therapeutischen Ansätzen eröffnet.

Soweit der wissenschaftliche Hardcore-Teil der Preisvergabe. Doch was genau verändert die Entdeckung der microRNA im realen Leben? Und wie verändert sich die Labormedizin?

In erster Linie revolutioniert die Entdeckung die Diagnose von Alzheimer und Demenz

Denn Alzheimer-Demenz und auch ihre Vorstufe lassen sich durch Messung sogenannter MicroRNAs im Blut erkennen. Darüber berichten unlängst Forschende des DZNE in Göttingen – gemeinsam mit US-amerikanischen Fachleuten der Boston University und der Indiana University School of Medicine – im Wissenschaftsjournal „Alzheimer’s & Dementia: The Journal of the Alzheimer’s Association“. Ihre Einschätzung beruht auf Daten von rund 800 Erwachsenen, die an einer Langzeitstudie über die Alzheimer’sche Erkrankung teilnehmen. Das angewandte Verfahren ist noch nicht bereit für die klinische Routine, doch die aktuellen Ergebnisse könnten den Weg für bessere Früherkennung bereiten.

„Wir brauchen nicht nur bessere Therapien zur Behandlung von Alzheimer, sondern auch neue Ansätze, um diese Erkrankung zu erkennen – und zwar frühzeitig, wenn Symptome einer Demenz, wie Gedächtnisstörungen, zwar noch nicht auftreten, sich die Krankheit aber bereits im Verborgenen entwickelt“, so André Fischer, Forschungsgruppenleiter am DZNE-Standort Göttingen und Professor für Epigenetik neurodegenerativer Erkrankungen in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Göttingen (UMG).

„Wir haben herausgefunden, dass dies über eine Messung von MicroRNAs im Blut möglich ist. Frühere Ergebnisse deuteten bereits darauf hin, nun konnten wir sie an einem großen Studienkollektiv bestätigen. Unsere Untersuchungen zeigen insbesondere, dass man anhand von MicroRNAs nicht nur eine Alzheimer-Demenz erkennen kann, sondern auch solche Menschen, die kognitiv nur leicht beeinträchtigt sind, aber ein hohes Risiko haben, innerhalb der nächsten zwei Jahre eine Demenz tatsächlich zu entwickeln.“

Die Ergebnisse beruhen auf Daten von Erwachsenen aus den USA und Kanada, die an der sogenannten Alzheimer’s Disease Neuroimaging Initiative (ADNI) teilnehmen. ADNI läuft seit 20 Jahren und ist eine der weltweit größten Langzeitstudien über die Alzheimer’sche Erkrankung. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden über Jahre hinweg regelmäßig untersucht und auch Blutproben für spätere Untersuchungen aufbewahrt.

 „Im Laufe der Zeit ist ein großer Schatz an Daten entstanden. MicroRNAs hatte man bisher aber nicht erfasst. Deshalb haben uns Kolleginnen und Kollegen aus den USA angesprochen, da wir am DZNE über die erforderliche Technologie und Erfahrung verfügen. Die National Institutes of Health haben das Projekt unterstützt“, so Fischer. „Wir haben dann bereits vorliegende Diagnosen aus ADNI mit den von uns ermittelten Signaturen von MicroRNAs abgeglichen. Dabei hat sich herausgestellt, dass die MicroRNAs für die Diagnose von Demenz und Früherkennung geeignet sind.“

Korrelation mit konventionellen Indikatoren

Außerdem zeigte sich, dass die MicroRNAs auch Anomalien in etablierten Biomarkern für Alzheimer widerspiegeln. Konkret gilt dies für den Verlust von Gehirnvolumen sowie für die Konzentration sogenannter Amyloid- und Tau-Proteine. „Das verdeutlicht, dass ein vergleichsweise einfacher Bluttest auf MicroRNAs ähnliche Aussagekraft hat wie herkömmliche Biomarker, die aufwändig über Hirnscans und Analysen der Rückenmarksflüssigkeit bestimmt werden müssen. Ein solcher Bluttest könnte helfen, teure und oft unangenehme Untersuchungen zu vermeiden“, so Fischer.

MicroRNAs zählen zur Großfamilie der „nicht-codierenden“ RNAs. Die Baupläne für diese Moleküle sind im Erbgut hinterlegt, dienen jedoch nicht der Herstellung von Proteinen. „Tatsächlich werden rund 70 Prozent der menschlichen DNA in nicht-codierende RNAs umgesetzt. Lange Zeit hielt man diese RNAs für wenig relevant. Inzwischen hat man erkannt, dass sie den Stoffwechsel in vielfältiger Weise beeinflussen. In der Pharmaforschung sieht man sie inzwischen als mögliche Ansatzpunkte für Medikamente“, sagt Fischer. „Jenseits der aktuellen Untersuchungen mit unseren Partnern aus den USA erforschen wir solche RNAs daher auch im Laborstudien, um ihre Wirkungsweisen aufzuklären. Und wir untersuchen sie auch im Rahmen von Demenzstudien des DZNE und in Populationsstudien, die sich mit der Gesundheit in der Breite der Bevölkerung befassen. Das ist ein Thema, das uns weiter beschäftigen dürfte.“

Doch auch für die Diagnose von Krebs sind microRNAs mittlerweile ein wichtiges Tool.

Beispiel Blasenkrebs: Eine Gruppe von Tumoren erweisen sich bislang als besonderes Problem: Die sogenannten pT1G3 Tumoren. Denn sie sind noch nicht muskelinvasiv, aber schlecht differenziert. Dadurch haben sie ein hohes Aggressivitätspotenzial und besitzen die Fähigkeit, später in die Muskelschicht einzudringen.

Krebsmediziner entscheiden in solchen Fällen zwischen lokaler Therapie, also Harnblasenerhalt, und früher Zystektomie. Um diese Entscheidung genauer für jeden einzelnen Patienten bzw. Patientin treffen zu können, sind Biomarker notwendig, die eine differenzierte Risikobewertung am Tumorgewebe oder sogar im Urin zur nicht-invasiven Diagnostik erlauben, da die alleinige histopathologische Analyse hier nicht ausreichend ist.

„Hierfür wollen wir microRNAs (miRNAs) einsetzen. MiRNAs sind kurze RNA-Moleküle, die in vielen Untersuchungen als vielversprechende, robuste Tumormarker in Tumorgeweben und Körperflüssigkeiten bestätigt wurden“, erklärt Kerstin Junker, Leiterin der Abteilung für klinisch-experimentelle Forschung in der Klinik für Urologie und Kinderurologie am Universitätsklinikum und an der Universität des Saarlandes. „In unseren Vorarbeiten konnten wir eine miRNA-Signatur identifizieren, die eine sichere Differenzierung zwischen nicht-muskelinvasiven und muskelinvasiven Tumoren erlauben und an unabhängigen Patientengruppen bestätigen.“

Ziel des aktuellen Projektes sei es nun, zu belegen, dass diese miRNA-Signatur auch eine sichere Diagnose an Präparaten der transurethralen Resektion, also bei der primären Diagnostik erlaubt. Darüber hinaus soll untersucht werden, ob eine Differenzierung der pT1G3 Tumoren hinsichtlich ihres Invasionspotenzials möglich ist. Des Weiteren soll die Möglichkeit der nicht-invasiven Diagnostik mittels miRNA-Signatur im Urin geprüft werden.

„Außerdem wollen wir die Bedeutung der molekularen Subtypen und deren Assoziation mit der miRNA-Expression insbesondere für die pT1G3 Tumoren analysieren“, sagt Junker.

„Wir gehen davon aus, dass molekulare Subtypen die muskelinvasiven Harnblasentumoren hinsichtlich ihrer Aggressivität besser als die histopathologische Analyse allein differenzieren können“, ergänzt Markus Eckstein vom Pathologischen Institut des Uniklinikums Erlangen, der gemeinsam mit Kerstin Junker das Projekt leitet.

microRNAs haben demnach den Medizinalltag erreicht, vor allem in der Forschung sind sie nicht mehr wegzudenken. Und ihr Potenzial überzeugt große Institutionen, in microRNA-Forschung zu investieren: Allein Junkers Projekt wird mit insgesamt 321.000 Euro über drei Jahre durch die Deutsche Krebshilfe gefördert.

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