Humane Organoide: Gentherapie gegen Erblindung bei Kinderdemenz erfolgreich getestet

Forschende der Universität Tübingen haben die Wirksamkeit einer Gentherapie gegen die Netzhautschäden bei der seltenen Kinderdemenz CLN2-Batten-Syndrom in einem innovativen menschlichen Labor-Modell nachgewiesen. Ohne Tierversuche gelang es, krankheitsbedingte Prozesse in Netzhaut-Organoiden und einem Retina-on-Chip-System zu mindern, was das Fortschreiten der Erblindung bei Betroffenen verhindern könnte. Die Ergebnisse haben bereits die Genehmigung einer klinischen Phase-I/II-Studie in Großbritannien ermöglicht, die derzeit läuft und erste positive Zwischenergebnisse zeigt.
Die neuronale Ceroid-Lipofuszinose Typ 2 (CLN2) entsteht durch Mutationen im TPP1-Gen und führt ab dem Kleinkindalter zu fortschreitender Degeneration von Gehirn und Netzhaut. Die Fotorezeptoren, die für das Sehen verantwortlich sind, degenerieren rasch, sodass Kinder innerhalb weniger Jahre erblinden. Ohne Therapie erreichen Betroffene selten ein Alter über acht bis zwölf Jahre. Aktuelle Behandlungen bremsen nur teilweise den neurologischen Verlauf, adressieren aber den Sehverlust nicht. Ein Team vom Institut für Neuroanatomie und Entwicklungsbiologie sowie vom Institut für Biomedical Engineering simulierte die Erkrankung in einem realitätsnahen Modell: Stammzell-basierte Retina-Organoide auf einem etwa 1-Euro-Stück großen Chip, der die Mikroumgebung der Netzhaut inklusive eines künstlichen Blutflusses nachbildet. Hier konnte die typische Lipofuszin-Ablagerung präzise dargestellt werden.

In diesem In-vitro-System testeten die Wissenschaftler die Gentherapie TTX-381 des US-Unternehmens Tern Therapeutics. Ein modifizierter Adeno-assoziierter Virus (AAV) transportiert eine funktionsfähige Kopie des TPP1-Gens direkt in die Netzhautzellen, um das fehlende Enzym zu produzieren. Die Behandlung stellte die Enzymproduktion wieder her, reduzierte schädliche Ablagerungen oder verhinderte sie vollständig. Dies unterstreicht das Potenzial der Therapie, die Erblindung zu stoppen, und demonstriert die Zuverlässigkeit tierfreier Modelle für präklinische Tests.
Dank dieser Daten wurde die Studie TTX-381-1102 am Great Ormond Street Hospital in London freigegeben, ohne vorherige Tierversuche zur Wirksamkeitsprüfung. Die Phase-I/II-Dosissteigerungsstudie rekrutiert Kinder im Alter von 1 bis 12 Jahren und hat kürzlich die Einschreibung der zweiten Kohorte abgeschlossen, mit einer Dosisauswahl für eine Erweiterungskohorte. Erste Ergebnisse deuten auf eine Stabilisierung oder Verbesserung des Sehvermögens hin, was die Lebensqualität erheblich steigern könnte. Die Studie ist unter NCT05791864 bei clinicaltrials.gov registriert und soll bis Mitte oder Ende 2025 enden.
Tern Therapeutics, 2023 gegründet mit 15 Millionen Dollar Startfinanzierung, entwickelt weitere Ansätze gegen CLN2. Parallel zu TTX-381, das subretinal verabreicht wird, steht TTX-181 in Vorbereitung, eine Gentherapie für das Gehirn via cerebrospinalem Flüssigkeitsweg, um den neurologischen Abbau zu bremsen und die Lebenserwartung zu verlängern. Beide Kandidaten stammen aus einer Lizenz von REGENXBIO und zielen auf eine einmalige Behandlung ab. Kürzlich kooperierte Tern mit Andelyn Biosciences für die späte PPQ-Fertigung von TTX-381, um die Skalierung zu beschleunigen.
Die Kooperation zwischen Tübingen und Tern markiert einen Meilenstein: Retina-Organoide und Organ-on-Chip-Technologien ermöglichen menschenspezifische Simulationen, die Tiermodelle ergänzen oder ersetzen und Entwicklungszeiten für seltene Erkrankungen verkürzen. Weltweit leiden rund 400 Millionen Menschen an solchen Krankheiten, für die oft keine Therapien existieren. Diese Methode könnte den Standard in der Gentherapie-Forschung verändern und schneller zu Behandlungen für vulnerable Patientengruppen führen.
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Redaktion: X-Press Journalistenbüro GbR
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