Furcht verstärkt Schmerzen bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen

von | Dez. 15, 2025 | Forschung, Gesundheit

Menschen mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) leiden häufig auch außerhalb akuter Entzündungsschübe unter Bauchschmerzen, was mit veränderter Verarbeitung von Schmerz in Verbindung mit Furcht zusammenhängen könnte. Ein Forschungsteam der Ruhr-Universität Bochum hat jetzt in einer Studie festgestellt, dass CED-Patienten Schmerzen intensiver und unangenehmer empfinden, wenn sie zuvor schmerzbezogene Furcht erlernt haben. Die Ergebnisse deuten auf zentrale Anpassungen im Gehirn hin und plädieren für personalisierte Therapien, die psychologische Mechanismen einbeziehen. Die Arbeit erschien am 26. November 2025 in der Fachzeitschrift Pain.

Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen wie Colitis ulcerosa betreffen Millionen Menschen und verursachen wiederkehrende Schmerzen, die über akute Entzündungen hinaus anhalten. Forscher vermuten, dass emotionale Faktoren wie Furcht eine Rolle spielen, da Schmerzen potenzielle Gewebeschäden signalisieren und zu Lernprozessen führen, in denen Betroffene Reize meiden, die mit Beschwerden assoziiert werden. Bei anderen chronischen Schmerzzuständen wie dem Reizdarmsyndrom ist bekannt, dass Patienten schmerzbezogene Furcht stärker internalisieren, was den Schmerz verstärkt und aufrechterhält. Die Bochumer Studie untersuchte, ob ähnliche Prozesse bei CED wirken.

Das Team um Hanna Öhlmann vom Zentrum für Medizinische Psychologie und Translationale Neurowissenschaften rekrutierte 43 Probanden: 21 Patienten mit ruhender Colitis ulcerosa, durchschnittlich 13,5 Jahre erkrankt, und 22 altersmäßig vergleichbare gesunde Kontrollpersonen. Die Teilnehmer waren größtenteils weiblich, mit einem Durchschnittsalter von etwa 46 Jahren. Ausschlusskriterien umfassten extreme Altersgruppen, einen Body-Mass-Index außerhalb von 18 bis 30, psychiatrische Begleiterkrankungen bei CED-Patienten sowie kürzliche Einnahme von Immunsuppressiva oder Kortikosteroiden. Die Studie wurde zwischen Juli 2019 und März 2020 durchgeführt.

Darmkrebs kann Metastasen in Leber, Lunge und Gehirn bilden. | Copyright: Copyright: pixabay, Karin Kaiser/MHH
Keine Darmentzündung: Darmkrebs kann Metastasen in Leber, Lunge und Gehirn bilden. | Copyright: Copyright: pixabay, Karin Kaiser/MHH

In einem zweitägigen Experiment wurde ein differentiales Furcht-Konditionierungs-Paradigma angewendet. Am ersten Tag sahen die Probanden Symbole auf einem Bildschirm: Ein Symbol war wiederholt mit einem schmerzhaften Hitzereiz am Unterbauch verbunden, ein anderes nicht. Dadurch lernten sie, welches Symbol Schmerz ankündigte. Anschließend folgte eine Extinktionsphase, in der alle Symbole ohne Reize präsentiert wurden, um die erlernte Furcht abzubauen. Am zweiten Tag wurde die Extinktion wiederholt, gefolgt von einer unerwarteten Re-Exposure an den Hitzereizen ohne visuelle Hinweise. Schmerzwahrnehmung wurde anhand von visuellen Analogskalen für Intensität und Unangenehmheit bewertet. Zusätzlich wurden entzündliche Marker wie TNF-alpha, IL-6, CRP, weiße Blutkörperchen, Calprotectin und Lactoferrin sowie neuroendokrine Marker wie Cortisol und Speichel-Amylase gemessen. Statistische Auswertungen nutzten robuste Methoden wie Yuen-t-Tests, gemischte ANOVAs, Korrelationen und Mediationsanalysen.

Die CED-Patienten berichteten über mehr gastrointestinale Symptome und höhere schmerzbezogene Angst sowie Katastrophisierung im Vergleich zu den Gesunden, zeigten jedoch keine Unterschiede in der allgemeinen Schmerzsensitivität oder Schwellenwerten. Beide Gruppen erlernten und löschten Furcht erfolgreich, ohne gruppenspezifische Abweichungen. Bei der Re-Exposure empfanden CED-Patienten den Schmerz jedoch signifikant intensiver und unangenehmer. In dieser Gruppe korrelierte das Ausmaß der erlernten schmerzbezogenen Furcht vom ersten Tag mit der Schmerzwahrnehmung am zweiten Tag: Höhere Furcht ging mit größerer Intensität und Unangenehmheit einher. Mediationsanalysen zeigten, dass dieser Zusammenhang vollständig durch die empfundene Unangenehmheit vermittelt wurde, was die emotionale Komponente des Schmerzes betont. Solche Korrelationen fehlten bei den Gesunden.

Die Ergebnisse legen nahe, dass bei CED nicht das Furcht-Lernen selbst verstärkt ist, sondern die Art, wie Furcht die Schmerzwahrnehmung moduliert. Dies könnte auf zentrale Anpassungen im Gehirn zurückzuführen sein, die durch wiederkehrende Entzündungsschübe entstehen. Frühere Untersuchungen haben strukturelle und funktionelle Veränderungen in Hirnregionen festgestellt, die Furcht und Schmerz verarbeiten. Die Studie identifiziert furchtinduzierte Hyperalgesie als Mechanismus für persistierenden Schmerz in ruhenden Phasen, der mit nociplastischen Schmerzkonzepten übereinstimmt, bei denen zentrale Sensibilisierung eine Rolle spielt.

Bisherige Behandlungen von CED konzentrieren sich auf die Entzündungskontrolle im Verdauungstrakt. Die Forscher fordern jedoch eine Anerkennung chronischen Bauchschmerzes als zentrales Krankheitsmerkmal und die Integration psychologischer Faktoren wie Stress, Vermeidung und Furcht. Besonders Patienten, die trotz entzündungsfreier Phasen Schmerzen haben, könnten von ganzheitlichen Ansätzen profitieren. Empfohlen werden Untersuchungen zu psychologischen Interventionen, etwa aus der kognitiven Verhaltenstherapie, die Furcht und Vermeidung adressieren. Solche Methoden könnten auch bei anderen entzündlichen Erkrankungen mit Schmerzen, wie Rheuma oder Endometriose, angewendet werden. Die Studie unterstreicht die Notwendigkeit personalisierter Therapien, die emotionale Reaktivität berücksichtigen, um Lücken in der Schmerztherapie zu schließen.

Die Arbeit wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert, speziell im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 1280 zu Extinktionslernen unter der Projektnummer 316803389. Die Ruhr-Universität Bochum gilt als führendes Zentrum für Neurowissenschaften und medizinische Psychologie, wo interdisziplinäre Teams Mechanismen chronischer Erkrankungen erforschen. Diese Erkenntnisse könnten die klinische Praxis verändern, indem sie den Fokus von rein medikamentöser auf integrierte Behandlungen erweitern. In Deutschland leiden schätzungsweise 400.000 Menschen an CED, und persistierende Schmerzen belasten ihr Leben erheblich. Durch Berücksichtigung emotionaler Faktoren könnte die Lebensqualität verbessert und das Gesundheitssystem entlastet werden. Die Studie trägt zur wachsenden Evidenz bei, dass psychische Prozesse bei somatischen Erkrankungen eine Schlüsselrolle spielen und therapeutisch genutzt werden sollten.

Original Paper:

PAIN


Redaktion: X-Press Journalistenbüro GbR

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