DKLM 2025: Exklusivinterview mit Prof. Uta Ceglarek und Prof. Berend Isermann

von | Okt. 23, 2025 | Forschung, Gesundheit

Der DKLM 2025 startete heute in Leipzig und verbindet erstmals Wissenschaft und Medizin als Kongressthema.  MedLabPortal sprach kurz vor Beginn der Veranstaltung mit Tagungspräsidentin und Chemikerin Prof. Uta Ceglarek, sowie mit Tagungspräsidenten und Mediziner Prof. Berend Isermann.

MedLabPortal: Frau Prof. Ceglarek, Herr Prof. Isermann, Sie sind Tagungspräsidentin bzw. -präsident des diesjährigen DKLM. Für die Labormedizin vollkommen neu auf einem Kongress ist die Fokussierung auf den wissenschaftlichen Teil der Fachrichtung – warum war Ihnen dieser Aspekt so wichtig?

Isermann: Es geht schlichtweg um die Translation. Ohne Wissenschaft gibt es keine medizinischen Diagnosen und auch keine Laborergebnisse.

MedLabPortal: Spielen Sie auf die analytischen Methoden und Verfahren an?

Ceglarek: Es geht nicht darum, wie ein HPLC oder ein MS funktioniert. Es geht um die Forschungsarbeit, die wir damit betreiben können, um neue diagnostische Verfahren zu entwickeln. Ein MS ist, im übertragenen Sinne, das Klavier. Damit können wir unsere Stücke komponieren. Am Ende des jeweiligen Prozesses steht im optimalen Fall ein neues diagnostisches Verfahren…

Isermann:…oder die Optimierung bestehender Methoden. Fall Sie uns fragen möchten, wozu das gut sein soll: Eine gute Therapie ist ohne eine gute Diagnostik nutzlos.

Der DKLM 2025 in Leipzig: Must Visit für die Medien. Credits: DGKL
Der DKLM 2025 in Leipzig. Credits: DGKL

MedLabPortal: In dieser Hinsicht forschen Sie an vorderster Front. Und das Neugeborenenscreening in Ihrem Hause zeigt, dass die labormedizinischen Fortschritte den neuen Erdenbürgern direkt zugutekommen.

Ceglarek: Das Neugeborenenscreening am Universitätsklinikum Leipzig erfolgt methodisch, was außergewöhnlich für Deutschland ist. Es gibt eine systemische Erfassung, und jedes Kind hat ein Recht darauf.

MedLabPortal: Konkret?

Ceglarek: Vom Eintreffen der Probe bis zum Befund vergeht maximal 1 Tag. Stellen wir bei der Diagnose eine lebensbedrohende Erkrankung fest, stellen wir sicher, dass das Kind schnellstmöglich eine Therapie erhält. Im Extremfall holt ein Hubschrauber das Kind ab. 

MedLabPortal: Und die Eltern? Nicht jeder wird erfreut sein, wenn beim Frühstück der Hubschrauber im Garten landet, um das Neugeborene abzuholen.

Ceglarek: Niemand landet im Garten. Und Neugeborene sind zu dem Zeitpunkt meistens noch in der Geburtsklinik. Aber Sie haben recht, es muss sehr schnell gehen und Eltern stehen nach dieser Information oftmals unter Schock – vor allem weil noch keine Symptome der Erkrankung sichtbar sind. Letztendlich sind die Eltern aber froh, wenn sie erfahren, dass unsere Diagnose zu einer Therapie führt. Unser Ziel ist es, dass die Kinder gesund gedeihen. 

MedLabPortal: Für solche Diagnosen suchen Sie dann die besten Biomarker?

Isermann: Stark vereinfacht, ja. Und dazu benötigen wir die neuartige apparative Analytik. Wir haben beispielsweise bessere Analysenverfahren für Steroidhormone oder Immunsupressiva entwickelt, um nur zwei Beispiele zu nennen.

MedLabPortal: Wofür die Diagnosticabranche vermutlich Schlange steht, denn solche Patente sind am Ende Millionen oder gar Milliarden Euro wert.

Ceglarek: Tatsächlich hätten wir längst eigene Unternehmen gründen können, und mit den Entwicklungen als spin-off hätten wir möglicherweise Geld verdient. Aber wir haben das nicht getan, und wir möchten das nicht tun. Im Gegenteil: Unsere Entwicklungen sind für jedermann frei verfügbar, nachvollziehbar und dienen dem wissenschaftlichen Fortschritt und unmittelbaren Nutzen für Patient:innen.

MedLabPortal: Sie betreiben demnach Open Source Forschung?

Isermann: Es ist eine Frage der Ethik. Und unserer Ansicht nach ist Grundlagenforschung der Motor jeglichen Fortschritts, auch in der Labormedizin. Wir haben nichts dagegen, mit Firmen zusammen neue Erkenntnisse und Diagnostik zu entwickeln. Am Ende ist es uns aber wichtig, dass wir unsere Studien unabhängig von Firmen durchführen können. Die Wissenschaftliche Freiheit, die echte Innovation bringt, ist für uns ein hohes Gut.

MedLabPortal: Und das funktioniert immer reibungslos?

Isermann: Mitnichten. In einem Fall haben wir eine Kohorte über 15 Jahre aufgebaut, dann fehlte die Anschlussfinanzierung. Aber wir setzen auf Bundesmittel, Landesmittel und Grants. Auch wenn wir klar sagen können: Derzeit fehlen uns rund 10 Millionen Euro, um substanzielle Forschungsprojekte vorantreiben zu können.

MedLabPortal:  Biobanken und Omics etwa?

Isermann: Omics versprechen eine bessere Diagnostik, und Omics-Technologien senken die Kosten im Gesundheitswesen, wenn sie denn zum Einsatz kommen. Was die Biobanken angeht, können wir von der UK Biobank lernen und sehen, was sie bringt.

MedLabPortal: Für Laien klingt das wenig spannend…

Isermann: Nehmen wir das Beispiel Onkologie. Omics und Biobanken liefern die Datengrundlage, um Patienten eine passgenaue Therapie angedeihen zu lassen. Ohne diese Tools würde man allen Erkrankten die gleiche Therapie verordnen – die aber womöglich nur bei 40 Prozent der Betroffenen anschlägt. Dann wird vielleicht eine andere Therapie ausprobiert. Mit besserer Diagnostik wollen wir das verhindern.

MedLabPortal: Auf dem Kongress spielen auch Robotics und KI eine große Rolle…

Ceglarek: Womit wir wieder beim Kernthema sind. Ohne Wissenschaft gibt es keine funktionierende Labordiagnostik, und ohne die keine Therapien.

MedLabPortal: Sie selbst sind Chemikerin und kennen daher das Anorganik-Standardwerk von Holleman-Wiberg. Darin wird der große französische Schriftsteller Victor Hugo zitiert: „Die Wissenschaft sucht nach einem Perpetuum mobile. Sie hat es gefunden: Sie ist es selbst“.

Ceglarek: Dem ist nichts hinzuzufügen.

MedLabPortal: Frau Prof. Ceglarek, Herr Prof. Isermann, vielen Dank für dieses Interview.

Das Interview führte Vlad Georgescu in Leipzig.


Der Deutsche Kongress für Laboratoriumsmedizin (DKLM) 2025 verspricht spannende Einblicke in die Schnittstelle von Wissenschaft und klinischer Praxis. Unter dem Leitmotiv „Science for Precision Medicine“ laden die Deutsche Gesellschaft für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin (DGKL) sowie der Dachverband für Technologen/-innen und Analytiker/-innen in der Medizin Deutschland e.V (DVTA) Fachleute aus Forschung, Klinik und Industrie ein, sich am 23. und 24. Oktober im Congress Center Leipzig (CCL) zu treffen. Der zweitägige Event richtet sich an Laborärzte, Biomedizinische Analytiker und Entscheidungsträger, um aktuelle Fortschritte in der Diagnostik zu diskutieren und Netzwerke zu stärken. Bereits am 22. Oktober fand die feierliche Verleihung der MedLabAwards im Salles de Pologne statt.


Redaktion: X-Press Journalistenbüro GbR

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