“Das Vertrauen in die Qualität der laboratoriumsmedizinischen Diagnostik in der Patientenversorgung wird steigen”

von | Juli 18, 2025 | Forschung, Gesundheit, Politik

Die Neubearbeitung der Rili-BÄK beinhaltet auch die Vorgaben der Tabelle B1.1. Warum die anstehenden Änderungen am Ende den Patienten dienen, und weshalb zunächst weiterhin Diskussionsbedarf besteht, erläutert Prof. Matthias Nauck im NACHGEFRAGT-Interview mit MedLabPortal. Nauck ist Direktor des Instituts für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin der Universitätsmedizin Greifswald und Past-Präsident der Deutschen Gesellschaft für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin (DGKL).

MedLabPortal: Herr Prof. Nauck, kennen Sie den Film e-m@il für dich?

Nauck: JA! Ich habe ihn bereits häufiger angesehen und kann mich immer wieder an ihm erfreuen.

MedLabPortal: Wir haben gefragt, weil es im Film mit Tom Hanks und Meg Ryan nach vielen Irrungen und Wirrungen am Ende ein Happy End gibt. Die DGKL bekam, wie andere Fachgesellschaften auch, Anfang Juli eine Email vom Präsidenten der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt. Darin geht es um den „Beschluss zur Verlängerung der bestehenden Übergangsfrist für die Vorgaben der Tabelle B1.1 um zwei Jahre“. Ist das das Happy End in der Diskussion um die Präanalytik in der Rili-BÄK hinsichtlich Plasma oder Serum?

Nauck: Das Präsidium der BÄK hatte mich 2019 aufgefordert, das Thema Präanalytik bei einer zukünftigen Überarbeitung der Rili-BÄK stärker zu berücksichtigen, da diese die Qualität der Messergebnisse maßgeblich beeinflusst. Die Diskussion um das geeignete Probenmaterial wurde bereits vor rund 50 Jahren geführt, und für die Messgrößen Glukose und Kalium wird bereits seit vielen Jahrzehnten Plasma empfohlen. Allerdings wurde dieses Wissen häufig nicht umgesetzt, weil dadurch die Prozesse – zum Teil – komplexer werden können. Diese Aspekte der Präanalytik sind in den vergangenen Jahren nicht gesondert hinterfragt worden, auch nicht im Rahmen der Akkreditierung. Das „Happy End“ besteht vielleicht darin, dass – nachdem wir noch in den vergangenen zwei Jahren Diskussionen geführt haben – nun durch die Verlängerung der Übergangsfrist derselbe Zeitraum gewonnen wurde, um sich auf die Umsetzung dieser Vorgaben gerade im niedergelassenen Bereich zu konzentrieren.

MedLabPortal: Bitte klären Sie unsere Leserinnen und Leser kurz auf: Was ist an der Tabelle B1.1 so wichtig?

Nauck: Es ist allgemein akzeptiert, dass in dem analytischen Prozess – bestehend aus Präanalytik, Analytik und Postanalytik – rund 2/3 aller Fehler in der Präanalytik geschehen. Die Tabelle B1.1 macht nun unter anderem klare präanalytische Vorgaben für die mit Abstand am häufigsten bestimmte Messgröße Glukose. Hier ist es wichtig zu wissen, dass in Blutentnahmeröhrchen ohne Glykolysehemmung die Glukosekonzentration in den Blutentnahmegefäßen um ca. 5 bis 10% pro Stunde sinkt. Das heißt, dass eine Blutprobe, die keine Glykolysehemmer enthält, und erst nach 3 bis 4 Stunden prozessiert und gemessen wird, Glukosewerte aufweist, die ca. 30% unter dem realen Wert bei der Blutentnahme liegen. Damit ist eine Diagnostik und Therapieüberwachung schlichtweg nicht möglich.

Alternativ kann die Blutprobe schnell gemessen werden, wie dies z.B. bei der Blutgasanalytik oder im Rahmen der patientennahen Sofortdiagnostik für Glukosemessungen der Fall ist. Oder das Plasma wird durch eine zeitnahe Zentrifugation und der Verwendung von Gelröhrchen gewonnen. Das Plasma ist damit von den zellulären Bestandteilen des Bluts durch die Zentrifugation getrennt und damit ist der Glukoseabbau durch die Blutzellen gestoppt.

Die zweite in der Tabelle B1.1 aufgeführte Messgröße ist Kalium. Laut Angaben der KBV werden allein im niedergelassenen Bereich aktuell ca. 40 Millionen Kaliumbestimmungen jährlich durchgeführt. Die intrazelluläre Kaliumkonzentration ist vielfach höher als die extrazelluläre Kaliumkonzentration. Daher ist Kalium das klassische Beispiel für einen Störfaktor, da bei dem Gerinnungsprozess aus den Thrombozyten Kalium in erheblichen Mengen freisetzt wird und damit die Kaliumkonzentration in Serum falsch hoch ist. Dieser Effekt lässt sich einfach vermeiden, wenn statt Serum Heparinat-Plasma verwendet wird, weil hier der Gerinnungsprozess – und damit die Freisetzung des intrazellulären Kaliums aus den Thrombozyten – unterbunden ist.
Die Vorgaben für beide Messgrößen basieren auf Untersuchungen, die prinzipiell bereits vor Jahrzehnten durchgeführt worden sind. Und sie entsprechen den geltenden regulatorischen Vorgaben, ganz unabhängig von der Ausformulierung in der Tabelle B1.1.
So steht in der Medizinprodukte-Betreiberverordnung in §10: „Wer laboratoriumsmedizinische Untersuchungen durchführt, hat vor Aufnahme dieser Tätigkeit ein Qualitätssicherungssystem nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik zur Aufrechterhaltung der erforderlichen Qualität, Sicherheit und Leistung bei der Anwendung von In-vitro-Diagnostika sowie zur Sicherstellung der Zuverlässigkeit der damit erzielten Ergebnisse einzurichten.“ Plasma, oder auch Vollblut, ist für beide aufgeführten Messgrößen Stand der Technik.

In der Zielsetzung der Rili-BÄK steht: „Ziel dieser Richtlinie ist, die Qualität laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen zu sichern, kontinuierlich zu verbessern und Risiken für Patienten und Anwender so gering wie möglich zu halten. Sie soll insbesondere gewährleisten:
• die Minimierung von Einflussgrößen und Störfaktoren in der Präanalytik,
• die fachgerechte Durchführung der laboratoriumsmedizinischen Untersuchungen einschließlich der Erkennung und Minimierung von Einflussgrößen und Störfaktoren auf die Untersuchungen …“
Es geht also nicht um einen kreativen Umgang mit Störgrößen, sondern deren Minimierung. Dieser Zielsetzung sind wir mit der Ausformulierung der präanalytischen Vorgaben in der Tabelle B1.1 nachgekommen.

Prof. Matthias Nauck ist Direktor des Instituts für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin der Universitätsmedizin Greifswald. Nauck ist zudem Pas-Präsident der Deutschen Gesellschaft für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin (DGKL). Credits: DGKL
Prof. Matthias Nauck ist Direktor des Instituts für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin der Universitätsmedizin Greifswald. Nauck ist zudem Past-Präsident der Deutschen Gesellschaft für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin (DGKL). Credits: DGKL

MedLabPortal: Und auf diese Tabelle haben Sie sich demnach als Fachgesellschaft mit der BÄK geeinigt?

Nauck: Die Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen hat einen gesetzesartigen Charakter, weil in der bereits erwähnten Medizin-Produktebetreiberverordnung in § 10 auf sie verwiesen wird. „Eine ordnungsgemäße Qualitätssicherung nach Satz 1 wird vermutet, wenn die Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen in der Fassung vom 30. Mai 2023 (Deutsches Ärzteblatt vom 30. Mai 2023, DOI: 10.3238/arztebl.2023.rili_baek_QS_Labor) beachtet wird.“

In der BÄK ist im Dezernat 3 die Bearbeitung der Rili-BÄK verankert. Dazu gibt es aktuell fünf Fachgruppen D1 bis D5, die für die entsprechenden B-Teile der Rili-BÄK zuständig sind. Diese Fachgruppen erarbeiten Vorschläge, die dann an das nächst höhere Gremium weitergegen und diskutiert werden. Dieses Gremium ist der Beirat zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinsicher Untersuchungen. Von meinem Vorgänger in meiner Funktion bei der BÄK, Herrn Prof. Wolfgang Vogt, habe ich zwei Kernelemente der Gremienarbeit für die BÄK gelernt und fortgeführt:

  1. Entscheidungen werden konsensual getroffen, das heißt einstimmig.
  2. Die Rili-BÄK hat einen edukativen Charakter.

Die Vorschläge werden aus den einzelnen Fachgruppen zusammengetragen, im Beirat diskutiert und konsensual abgestimmt. Anschließend werden Änderungsvorschläge an den Vorstand der Bundesärztekammer weitergeleitet und dort darüber entschieden, ob sie angenommen oder abgelehnt werden.

Zurück zu Ihrer Frage: In den Fachgremien sowie im Beirat sind sehr unterschiedliche Mitglieder vertreten, zu denen auch die von Ihnen angesprochenen Fachgesellschaften gehören. Darüber hinaus sind in den Gremien vertreten die BÄK selbst, die KBV, DKG, dvta, VDGH, Vertreter der Länder, PTB und in einigen Fachgruppen auch das RKI. Berufsverbände sind nicht dabei. Wie bereits erwähnt, werden in diesen Gremien die Entscheidungen konsensual getroffen. Es ist also keinesfalls so, dass hier einseitig Entscheidungen herbeigeführt werden können. Bei der Übersetzung der Rili-BÄK ins Englische, die in der Zeitschrift JLM 2024 erschienen ist, finden Sie 64 Autoren, woran klar zu ersehen ist, dass es sich hier um ein gemeinschaftliches Werk handelt!. Und zur Wiederholung: Das Präsidium der BÄK entscheidet über die Vorschläge aus der Gremienarbeit.

MedLabPortal: Nun gibt es aber Stimmen, die die Aufnahme der Zentrifugation in der Tabelle fordern. Was hat es damit auf sich?

Nauck: Neben der Medizinprodukte-Betreiberverordnung und der Rili-BÄK haben die Packungsbeilagen gemäß der IVDR einen hohen Stellenwert, der bei der Anwendung dieser in-vitro Produkte berücksichtigt werden muss. In der Diskussion um die Sinnhaftigkeit der Verwendung von Serum für die Kaliumbestimmung wurde 2025 in PLOS One eine Arbeit von Reuter et al. publiziert, die den zeitlichen Verlauf untersucht, wenn die Proben nicht innerhalb von 30 Minuten sondern erst nach 4; 6 bzw. 8 Stunden zentrifugiert werden. Bei dieser Untersuchung wird der Inhalt der entsprechenden Packungsbeilage ignoriert, die lautet: „Kann die Probe nicht innerhalb von 2 Stunden analysiert werden, ist diese von den Zellen zu trennen (Packungsbeilage Roche).“ Schlussfolgerungen, die aus diesen nicht lege artis gewonnen Untersuchungsergebnissen abgeleitet werden haben damit keine Relevanz und sind medizinisch nicht haltbar. Ich freue mich, dass wir eine Richtigstellung gerade in CCLM – einem anerkannten internationalen Fachjournal für Laboratoriumsmedizin – publizieren konnten. Hier haben Mitglieder der DGKL, die zum Teil in den Gremien der BÄK aktiv sind, und der Sprecher der Sektion Extraanalytische Qualität der DGKL, Dr. Alexander von Meyer, die Daten neu aufbereitet und interpretiert (CCLM 2025 Petersmann et al). Vor diesem Hintergrund wurde in der Fachgruppe D1 auch hierzu eine Diskussion geführt. Sie ist aber nicht abgeschlossen. Inhaltlich sind die Packungsbeilagen aber unbedingt zu berücksichtigen, unabhängig davon, was in der Rili-BÄK ausgeführt ist. Wenn in dem Schreiben von Präsident Reinhardt davon die Rede ist, dass die Debatte um die Tabelle noch nicht abgeschlossen ist, dann geht es darum, das Thema der Zentrifugation hier vermutlich aufzunehmen.

MedLabPortal: Der Vorstand der BÄK wiederum hat die Übergangsfrist zur Einhaltung der Vorgaben der Tabelle bis Mai 2028 verlängert. Das ist in drei Jahren. Ohne sticheln zu wollen: China benötigte für den Bau des Bejing Daxing International Airport, immerhin der größte Flughafen der Welt, vier Jahre. Warum dauert die Umsetzung von Tabelle B1.1 fast genauso lange?

Nauck: Das ist eine gute Frage, die ich nicht einfach beantworten kann. Den Flughafen in China habe ich bereits genutzt und war von der Funktionalität – und der geringen Bauzeit – beeindruckt. In Deutschland tun wir uns in manchen Dingen schwer, wenn es um Veränderungen geht. Auch die LKW-Maut, der Berliner Flughafen und die Elbphilharmonie haben ihre Anlaufzeit benötigt. Verglichen mit diesen Projekten haben wir hier vermutlich eine akzeptable Zeit der Umsetzung, die wir nun auch nutzen sollten, um die Qualität der Patientenversorgung auf ein neues Niveau zu heben, von denen die uns anvertrauten Patienten aber auch alle Beteiligten im Gesundheitssystem am Ende des Tages profitieren.

MedLabPortal: Für Labormediziner sind die Vorgaben der Tabelle fachlich betrachtet vermutlich sicheres Terrain. Wie sieht es aber mit den niedergelassenen Arztpraxen der Allgemeinmedizin und der anderen Fachrichtungen aus?

Nauck: Hier gibt es sicherlich Nachholpotential. Diese Aufgabe sollten sich die Labormediziner zusammen mit der BÄK und anderen Fachgesellschaften stellen, um hier einen breiten Konsens und hohe Akzeptanz für diese notwendigen Änderungen und Verbesserungen in der Präanalytik zu erzielen. Hiersollten wir das Potential der Rili-BÄK als edukatives Instrument gemeinsam nutzen.

MedLabPortal: Und wie werden Patienten von der „neuen“ Rili-BÄK in diesem Bereich profitieren?

Nauck: Es wird deutlich weniger falsche Messergebisse geben, die zu unnötigen persönlichen Aufregungen, aber auch unnötigen und vermeidbaren Belastungen im Gesundheitssystem führen. Das Vertrauen in die Qualität der laboratoriumsmedizinischen Diagnostik in der Patientenversorgung wird steigen und damit dem Ziel der Rili-BÄK entsprechen: „Ziel dieser Richtlinie ist, die Qualität laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen zu sichern, kontinuierlich zu verbessern und Risiken für Patienten und Anwender so gering wie möglich zu halten.“

MedLabPortal: Herr Prof. Nauck, vielen Dank für Ihre Zeit.

Die Fragen stellten Marita Vollborn und Vlad Georgescu


Redaktion: X-Press Journalistenbüro GbR

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