Deutschland: Kulturelle Diversität prägt Gesundheitsvorstellungen

von | Dez. 15, 2025 | Forschung, Gesundheit

Gesundheitsvorstellungen werden durch kulturelle Werte und religiöse Überzeugungen stark beeinflusst, was in diversen Gesellschaften zu einer Vermischung unterschiedlicher Ansätze führt. Forscher des Geographischen Instituts der Universität Bonn haben dies in einer Studie untersucht, die in migrantisch geprägten Stadtteilen durchgeführt wurde. Die Ergebnisse, veröffentlicht im Journal Social Science & Medicine, zeigen, dass viele Menschen Erklärungen für Gesundheit und Krankheit nutzen, die über biomedizinische Modelle hinausgehen und Elemente wie übernatürliche Kräfte oder spirituelle Balance einbeziehen. Dies stellt Herausforderungen für das Gesundheitswesen dar und erfordert eine Sensibilisierung des medizinischen Personals.

In Deutschland leben in vielen Städten Menschen aus verschiedenen Herkunftsländern zusammen, was zu einer Vielfalt an Gesundheitskonzepten führt. Die Studie konzentrierte sich auf Quartiere wie Bonn-Tannenbusch und Köln-Mülheim, wo Bewohner aus diversen Kulturen interagieren. Die Forscher Kevin Becker und Carsten Butsch, beide vom Geographischen Institut und Mitglieder im Transdisziplinären Forschungsbereich Sustainable Futures der Universität Bonn, analysierten, wie individuelle Vorstellungen von Gesundheit entstehen und sich vermischen. Sie stellten fest, dass diese Konzepte oft nicht vollständig mit dem westlichen biomedizinischen Verständnis übereinstimmen, was die Kommunikation zwischen Ärzten und Patienten erschweren kann.

Die Untersuchung basierte auf einem gemischten Methodenansatz, bei dem in der ersten Phase Tiefeninterviews mit Migranten durchgeführt wurden. Die Befragten zeigten eine breite Palette an Erklärungsmodellen für Gesundheit und Krankheit. Die Forscher identifizierten vier Hauptgruppen von Auffassungen. Die erste Gruppe erklärt Gesundheit durch übernatürliche Kräfte wie Gottheiten oder Geister, die direkt in den Krankheitsverlauf eingreifen können. Die zweite Gruppe kombiniert solche übernatürlichen Einflüsse mit persönlichem Verhalten, etwa durch Bewegung, Ernährung oder Stressreduktion. Die dritte Gruppe sieht Gesundheit als Zustand der Balance, der spirituell oder körperlich hergestellt werden muss, inspiriert von Systemen wie Ayurveda oder Traditioneller Chinesischer Medizin, die Ausgleich zwischen Elementen wie Hitze und Kälte oder zwischen Körper und Umwelt betonen. Die vierte Gruppe orientiert sich primär an biomedizinischen Ansätzen der westlichen Medizin, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen.

Symbolbild. Credits: Pixabay
Symbolbild. Credits: Pixabay

Häufig nutzen Individuen jedoch mehrere dieser Sichtweisen parallel, was als medizinische Diversität bezeichnet wird. Diese Vielfalt formt das persönliche Gesundheitsverständnis und beeinflusst die Wahl von Behandlungen in verschiedenen Situationen. Die Studie unterstreicht, dass jede befragte Person eine einzigartige Kombination aus Konzepten entwickelt, die aus religiösen, schamanischen und biomedizinischen Elementen bestehen kann. Dies führt dazu, dass Patienten skeptisch gegenüber vorgeschlagenen Therapien sein können, wenn diese nicht zu ihren kulturellen Vorstellungen passen.

Beispiele aus den Interviews illustrieren diese Dynamik. Eine Frau gab an, dass die Erkrankung ihres Mannes auf das Fehlen eines Kopftuchs zurückzuführen sei, was göttlichen Zorn ausgelöst habe und sie mit Schuldgefühlen belastete. Eine andere Person beschrieb eine Augeninfektion, die als Einwirkung böser Geister interpretiert wurde und durch ein schamanisches Ritual eines Heilers geheilt worden sei. Solche Fälle zeigen, dass Betroffene nicht immer zuerst das westliche Gesundheitssystem aufsuchen, sondern alternative Erklärungen und Heilmethoden bevorzugen.

Die größte Herausforderung bei der Forschung war der Aufbau von Kontakten zu den Befragten, da viele Zeitmangel, Desinteresse oder Ängste hatten. Dies machte die Erhebung von Grundlagenwissen in diesem wenig erforschten Bereich aufwendig. Die Ergebnisse sind potenziell auf andere Regionen übertragbar, insbesondere die Erkenntnis, dass Gesundheitsvorstellungen vielfältig und individuell konstruiert sind. Es könnte weitere Typen von Auffassungen geben, je nach kulturellem Kontext.

Aus den Befunden leiten die Forscher Empfehlungen ab. Unterschiedliche Gesundheitsverständnisse können die Interaktion zwischen medizinischem Personal und Patienten behindern und den Zugang zur Versorgung erschweren. Daher ist eine Sensibilisierung des Personals notwendig, etwa durch Integration von Wissen über vielfältige Konzepte in die Ausbildung. Auf dieser Basis sollten Kommunikationstrainings entwickelt werden, um Patienten effektiver zu erreichen. Besonders in der Prävention, wie bei Impfkampagnen, die oft biomedizinische Annahmen voraussetzen, ist Diversität relevant. Ansätze wie den Einsatz von Impfboten könnten erweitert werden, um kulturelle Barrieren abzubauen. Zudem sollte medizinisches Personal mit diversen Hintergründen ermutigt werden, eigenes Wissen einzubringen, Kollegen zu unterstützen und Erklärungen kultursensibel anzupassen, um die Akzeptanz von Therapien zu steigern.

Die Studie ist Teil eines laufenden Projekts. In der aktuellen Phase werden Ergebnisse einer Haushaltsbefragung zur Verbreitung verschiedener Gesundheitsvorstellungen analysiert, und Workshops zu den Erkenntnissen sowie zum Zugang zu Gesundheitsangeboten finden statt. Mittelfristig ist ein Folgeprojekt geplant, das die translokale Nutzung von Gesundheitsdienstleistungen untersucht, etwa in den Herkunftsorten von Migranten.

Diese Forschung hebt die Bedeutung kultureller Diversität in der Medizin hervor und plädiert für eine inklusivere Herangehensweise im Gesundheitswesen. In einer globalisierten Gesellschaft wie der deutschen könnte dies zu besseren Behandlungsergebnissen führen und Missverständnisse reduzieren. Die Universität Bonn, als eine der führenden Forschungsstätten, trägt mit solchen Arbeiten zur Förderung nachhaltiger Entwicklungen bei. Die Erkenntnisse könnten langfristig die Ausbildung und Praxis im Gesundheitssektor verändern und zu einer besseren Integration unterschiedlicher kultureller Perspektiven beitragen.

Original Paper:

Migrants’ and immigrants’ understandings of health and disease. Medical diversity in two diverse urban neighbourhoods – ScienceDirect


Redaktion: X-Press Journalistenbüro GbR

Gender-Hinweis. Die in diesem Text verwendeten Personenbezeichnungen beziehen sich immer gleichermaßen auf weibliche, männliche und diverse Personen. Auf eine Doppel/Dreifachnennung und gegenderte Bezeichnungen wird zugunsten einer besseren Lesbarkeit verzichtet.

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