Internationale Studie: Remission von Prädiabetes halbiert Risiko für Herzinfarkt und frühen Tod
Eine internationale Analyse hat erstmals bewiesen, dass Menschen mit Prädiabetes ihr Risiko für Herzinfarkt, Herzschwäche und vorzeitigen Tod um die Hälfte senken können, wenn sie durch Lebensstiländerungen ihren Blutglukosewert wieder in den Normalbereich bringen. Diese Erkenntnis könnte die Präventionsstrategien grundlegend verändern und ein neues, messbares Ziel in medizinischen Leitlinien einführen. An der Studie beteiligt waren Forscher des Universitätsklinikums Tübingen, von Helmholtz Munich und des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD).
Millionen Menschen in Deutschland leiden unbemerkt unter erhöhten Blutglukosewerten und gelten damit als prädiabetisch. Dieser Zustand stellt ein Frühstadium des Diabetes dar, für das bisher keine klaren Therapieziele definiert waren. Betroffene erhalten in der Regel Ratschläge, Gewicht zu reduzieren, mehr körperliche Aktivität auszuüben und sich gesünder zu ernähren. Solche Maßnahmen verbessern die körperliche Verfassung, das Wohlbefinden und diverse Risikofaktoren. Bisher blieb jedoch unklar, ob sie langfristig das Herz schützen. Kein Lebensstilprogramm für Prädiabetiker konnte bislang nachweisen, dass es über Jahrzehnte hinweg Herzinfarkte, Herzschwäche oder kardiovaskuläre Todesfälle nachhaltig verringert.
Die neue Untersuchung wertete Daten aus zwei der größten Diabetespräventionsstudien weltweit aus, einer aus den USA und einer aus China. In Zusammenarbeit mit Kollegen aus diesen Ländern analysierten die deutschen Forscher Langzeitdaten von mehr als 2400 Personen mit Prädiabetes. Die Ergebnisse zeigen, dass nicht die Lebensstiländerung allein entscheidend ist, sondern ob es gelingt, die Blutglukosewerte zu normalisieren und damit eine Remission des Prädiabetes zu erreichen.

Bei den Teilnehmern, die ihren Blutzucker erfolgreich senkten, sank das Risiko für kardiovaskuläre Todesfälle um etwa 50 Prozent. Auch die Gesamtsterblichkeit reduzierte sich signifikant. Die US-amerikanische Studie, bekannt als Diabetes Prevention Program Outcomes Study (DPPOS), beobachtete die Probanden über 20 Jahre. Die chinesische Da-Qing-Studie erstreckte sich sogar über 30 Jahre. Das Tübinger Team harmonisierte diese Datensätze und verglich die Raten von Herz-Kreislauf-Tod und Krankenhauseinweisungen wegen Herzinsuffizienz zwischen Gruppen mit und ohne Remission.
Bemerkenswert ist, dass der Schutzeffekt unabhängig von Gewichtsverlust eintritt. Selbst wenn beide Gruppen ähnlich viel Gewicht verloren, profitierten nur jene mit normalisierten Glukosewerten von der Risikoreduktion. Ein nüchterner Blutglukosewert von 97 Milligramm pro Deziliter oder niedriger erwies sich als zuverlässiger Marker für ein dauerhaft geringeres Herzrisiko. Dieser Wert gilt unabhängig von Alter, Körpergewicht oder ethnischer Herkunft und könnte in Hausarztpraxen weltweit eingesetzt werden, um die Prävention konkreter zu gestalten.
Bisher basiert die Herz-Kreislauf-Prävention auf drei Säulen: der Kontrolle des Blutdrucks, der Senkung des LDL-Cholesterins und dem Verzicht auf Rauchen. Die neuen Daten legen nahe, dass eine vierte Säule hinzukommen könnte: die langfristige Normalisierung des Blutzuckers bei Prädiabetes. Die Remission verzögert nicht nur den Ausbruch eines Typ-2-Diabetes, sondern schützt auch vor schweren Herz-Kreislauf-Erkrankungen über Jahrzehnte hinweg.
Die Studie unterstreicht ein therapeutisches Fenster: Frühe Normalisierung der Glukosewerte im Prädiabetes-Stadium kann das langfristige Risiko für Herzinfarkt, Herzinsuffizienz und vorzeitigen Tod erheblich mindern. Die Forscher plädieren dafür, die Remission als primäres Ziel in Leitlinien zur Prävention von Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu verankern.
Deutschland schneidet im internationalen Vergleich bei der präventiven Gesundheitsversorgung schlecht ab. Laut dem aktuellen Public Health Index belegt das Land den vorletzten Platz unter 18 europäischen Staaten bei der Umsetzung evidenzbasierter Präventionsmaßnahmen. Dadurch ist das Risiko, an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung zu sterben, in Deutschland deutlich höher als in vielen Nachbarländern.
Die Erkenntnisse der Studie offenbaren ungenutztes Potenzial. Konkrete Zielwerte wie die Glukosenormalisierung könnten die öffentliche Gesundheit verbessern und Millionen von Betroffenen helfen. Die Originalveröffentlichung erschien in der Fachzeitschrift The Lancet Diabetes & Endocrinology. Beteiligt waren Institutionen wie das Institut für Diabetesforschung und Stoffwechselerkrankungen von Helmholtz Munich an der Universität Tübingen sowie Partner in Düsseldorf, Potsdam-Rehbrücke, Dresden und weiteren Standorten.
Das Universitätsklinikum Tübingen, gegründet 1805, zählt zu den führenden Zentren der Universitätsmedizin in Deutschland und kombiniert Hochleistungsmedizin mit Forschung und Lehre. Jährlich profitieren über 400.000 Patienten von interdisziplinärer Expertise in Bereichen wie Diabetologie, Neurowissenschaften und Onkologie. Helmholtz Munich konzentriert sich auf biomedizinische Forschung zu Krankheiten wie Diabetes und Adipositas. Das DZD vereint Experten aus Grundlagenforschung, Epidemiologie und Klinik, um personalisierte Strategien gegen Diabetes zu entwickeln.
Diese Studie markiert somit einen Durchbruch, der die Behandlung von Prädiabetes von einer allgemeinen Empfehlung zu einem zielgerichteten Ansatz erhebt. Durch frühe Interventionen könnte nicht nur der Diabetes-Ausbruch verhindert, sondern auch die Belastung des Gesundheitssystems durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen gesenkt werden. Experten sehen hier eine Chance, Prävention greifbarer und effektiver zu machen, insbesondere in Ländern mit hohen Prädiabetes-Raten wie Deutschland.
Original Paper:
Redaktion: X-Press Journalistenbüro GbR
Gender-Hinweis. Die in diesem Text verwendeten Personenbezeichnungen beziehen sich immer gleichermaßen auf weibliche, männliche und diverse Personen. Auf eine Doppel/Dreifachnennung und gegenderte Bezeichnungen wird zugunsten einer besseren Lesbarkeit verzichtet.




