Zellen wandeln virale Sabotage in effektive Abwehr um

von | Okt. 16, 2025 | Forschung, Gesundheit

Eine neu veröffentlichte Studie in der Fachzeitschrift Nature offenbart, wie menschliche Zellen virale Angriffe clever kontern, indem sie die Sabotageakte der Erreger in ein Alarmsignal für den kontrollierten Zelltod umwandeln. Beteiligt war ein internationales Forscherteam unter Führung von Wissenschaftlern aus Philadelphia, Charlestown und Chengdu sowie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Die Ergebnisse könnten zukünftige Therapien gegen Viren, Krebs und Autoimmunerkrankungen revolutionieren.

Viren wie das Herpes-simplex-Virus 1, das bläschenartige Hautausschläge auslöst, und Influenza-Viren greifen gezielt den Prozess der Transkriptionstermination an – den Abschluss der RNA-Produktion. Dadurch entstehen ungewöhnlich lange RNA-Moleküle, die nicht in Proteine umgewandelt werden können. Diese Störung unterdrückt die natürliche antivirale Abwehr der Zelle und schafft ideale Bedingungen für die Virusvermehrung.

Prof. Dölken beobachtet in einem Labor des Instituts für Virologie der Medizinischen Hochschule Hannover Zellen durch ein Mikroskop. | Copyright: Karin Kaiser/MHH. 

Das Team um Lars Dölken vom Institut für Virologie an der MHH entdeckte jedoch, dass Zellen diese Manipulation als Bedrohung wahrnehmen. Die langen RNA-Moleküle falten sich zu speziellen linksdrehenden Doppelsträngen, sogenannten Z-RNAs. Diese Strukturen werden vom Protein ZBP1 erkannt, das einen programmierten Zelltod einleitet – eine Art Selbstzerstörung, die die Virusausbreitung im Anfangsstadium stoppt.

Besonders faszinierend: Die Z-RNAs bilden sich vorwiegend in Genomregionen, die Überreste alter Virusinfektionen enthalten – stille Relikte aus der Evolution. Normalerweise werden diese Bereiche nicht transkribiert, doch die virale Blockade aktiviert sie. Damit verwandeln Zellen eine uralte Schwachstelle in eine hoch effektive Schutzmaßnahme. „Evolution hat aus viralen Invasionen Alarmsignale geschaffen“, fasst die Studie zusammen, die zeigt, wie Wirt und Pathogen über Millionen Jahre ko-evolviert sind.

Dölken, einer der vier korrespondierenden Autoren und designierter Sprecher des Exzellenzclusters RESIST an der MHH, betont die Tiefe dieser Interaktion. Seine Gruppe trug maßgeblich zur Analyse der RNA-Strukturen und viralen Mechanismen bei. Die Entdeckung erweitert frühere Erkenntnisse zu ZBP1, das bereits bei SARS-CoV-2 und anderen Infektionen eine Rolle spielte.

Die Implikationen reichen weit über Viren hinaus. Ähnliche lange RNAs treten bei zellulärem Stress und Krebs auf. Forscher sehen Potenzial für neue Ansätze: Medikamente könnten Z-RNAs gezielt erzeugen oder die ZBP1-Erkennung modulieren, um Immunreaktionen zu boosten. Mögliche Anwendungen umfassen verbesserte Impfstoffe, Therapien gegen Autoimmunkrankheiten oder Krebsbehandlungen, die Tumorzellen zur Selbstzerstörung zwingen.

Die Arbeit wird im Rahmen des neuen DFG-Graduiertenkollegs ACME fortgesetzt, das ab April 2026 zelluläre Abwehrmechanismen gegen Mikroben erforscht. Gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft über fünf Jahre, bildet es Nachwuchswissenschaftler aus und vertieft das Verständnis intrinsischer Immunität. Diese Studie unterstreicht, wie grundlegende Forschung innovative Schutzstrategien gegen Infektionskrankheiten und mehr liefert.


VORSCHAU: Der Deutsche Kongress für Laboratoriumsmedizin (DKLM) 2025 verspricht spannende Einblicke in die Schnittstelle von Wissenschaft und klinischer Praxis. Unter dem Leitmotiv „Science for Precision Medicine“ laden die Deutsche Gesellschaft für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin (DGKL) sowie der Dachverband für Technologen/-innen und Analytiker/-innen in der Medizin Deutschland e.V (DVTA) Fachleute aus Forschung, Klinik und Industrie ein, sich am 23. und 24. Oktober im Congress Center Leipzig (CCL) zu treffen. Der zweitägige Event richtet sich an Laborärzte, Biomedizinische Analytiker und Entscheidungsträger, um aktuelle Fortschritte in der Diagnostik zu diskutieren und Netzwerke zu stärken. Bereits am 22. Oktober findet die feierliche Eröffnung des Kongresses mit der Verleihung der MedLabAwards im Salles de Pologne statt.


Redaktion: X-Press Journalistenbüro GbR

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