Neue Methode misst Partialladungen von Molekülen direkt

von | Aug. 21, 2025 | Forschung

Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung der Universität Wien hat eine bahnbrechende Methode entwickelt, mit der sich Partialladungen in Molekülen erstmals direkt messen lassen. Die in Nature veröffentlichten Ergebnisse bieten neue Einblicke in die elektrostatischen Eigenschaften von Molekülen und könnten die Arzneimittelentwicklung sowie die Materialwissenschaft revolutionieren.

Partialladungen, kleine Ungleichgewichte in der Elektronenverteilung innerhalb eines Moleküls, sind entscheidend für chemische und biologische Prozesse. Sie bestimmen, wie Moleküle miteinander interagieren, und beeinflussen in der Medizin beispielsweise die Aufnahme, Verteilung und Wirkung von Arzneimitteln. Bisher konnten Partialladungen nur theoretisch geschätzt werden, was zu unterschiedlichen Ergebnissen je nach Berechnungsmethode führte. Die neue Methode ermöglicht nun eine experimentelle Bestimmung dieser Ladungen.

Die Elektronenkristallografie ermöglicht Einblicke in die atomare Anordnung chemischer Verbindungen. | Copyright: Gruene/Schroeder
Die Elektronenkristallografie ermöglicht Einblicke in die atomare Anordnung chemischer Verbindungen. | Copyright: Gruene/Schroeder

Das Team unter der Leitung von Tim Grüne, Leiter der Core Facility für Kristallstrukturanalyse, und Christian Schröder vom Institut für Computergestützte Biologische Chemie nutzte Elektronenbeugung, um die Partialladungen zu messen. Dabei wird ein Elektronenstrahl auf einen winzigen Kristall gerichtet, der empfindlich auf das elektrostatische Potenzial reagiert. Eine speziell am Paul Scherrer Institut in der Schweiz entwickelte Kamera zeichnete die minimalen Ablenkungen des Strahls auf. In Kombination mit einer neuen Analysemethode, dem sogenannten ionic scattering factor modeling (iSFAC), konnten die Forscher die Ladungen einzelner Atome präzise quantifizieren.

Die Methode wurde an verschiedenen Substanzen getestet, darunter der industrielle Katalysator ZSM-5, die Aminosäuren Tyrosin und Histidin, Weinsäure sowie das Antibiotikum Ciprofloxacin. Bei Ciprofloxacin zeigte die Analyse, dass das Chloridion nur etwa 40 Prozent der negativen Ladung trägt, was die starke Abhängigkeit der Ladungsverteilung von der molekularen Umgebung verdeutlicht.

Die neue Technik bietet weitreichende Anwendungsmöglichkeiten. Sie ermöglicht nicht nur die Validierung und Weiterentwicklung theoretischer Modelle, sondern eröffnet auch Perspektiven für die Entwicklung präziserer Medikamente mit geringeren Nebenwirkungen und für die Herstellung maßgeschneiderter Materialien. Die Fortschritte in der Elektronenkristallographie, die an der Universität Wien vorangetrieben wurden, markieren einen wichtigen Schritt hin zu einem tieferen Verständnis molekularer Eigenschaften und deren gezielter Nutzung in Wissenschaft und Industrie.

Original Paper:

Experimental determination of partial charges with electron diffraction | Nature


Redaktion: X-Press Journalistenbüro GbR

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