KI-gestütztes Modell revolutioniert Verständnis von Multipler Sklerose

Eine bahnbrechende internationale Studie unter der Leitung des Universitätsklinikums Freiburg und der University of Oxford, veröffentlicht in Nature Medicine, stellt das bisherige Verständnis der Multiplen Sklerose (MS) grundlegend infrage. Anstelle der bisherigen Klassifikation in Subtypen wie schubförmig oder progredient beschreibt ein neues, KI-gestütztes Modell MS als dynamisches Krankheitskontinuum mit vier zentralen Zustandsdimensionen: körperliche Behinderung, Hirnschädigung, klinische Schübe und stille Entzündungsaktivität. Diese Erkenntnisse könnten die Diagnostik und Therapie von MS entscheidend verändern und haben weitreichende Implikationen für andere Erkrankungen.
Die Studie basiert auf der Analyse von Daten aus der NO.MS Kohorte von Novartis, ergänzt durch weitere Datensätze wie die Roche Ocrelizumab Kohorte und die MS PATHS Kohorte. Insgesamt wurden über 8.000 Patienten und mehr als 35.000 MRT-Aufnahmen ausgewertet. Das neue Modell zeigt, dass MS nicht durch starre Subtypen, sondern durch dynamische Zustandsübergänge charakterisiert ist. Entzündliche Prozesse, sei es in Form von Schüben oder klinisch stummer Aktivität, gelten dabei als zentrale Treiber der Krankheitsverschlechterung. Ein direkter Übergang in schwere Krankheitsstadien ohne vorherige Entzündungsaktivität ist nahezu ausgeschlossen.

Die bisherige Subtyp-Klassifikation führte oft zu Einschränkungen beim Zugang zu wirksamen Therapien, da Zulassungen auf diesen Kategorien basieren. Das neue Modell ermöglicht eine individualisierte Risikoeinschätzung, die unabhängig von festgelegten Subtypen den aktuellen Krankheitszustand quantifiziert. Besonders Patienten mit stiller Entzündungsaktivität könnten von frühzeitigen, gezielten Therapieansätzen profitieren.
Über die MS hinaus bietet das zustandsbasierte Modell Potenzial für andere medizinische Bereiche. Der datengetriebene Ansatz, unterstützt durch künstliche Intelligenz, könnte die Klassifikation und Behandlung zahlreicher Erkrankungen in der Neurologie und darüber hinaus revolutionieren, indem starre Kategorien durch flexible, dynamische Zustandsbeschreibungen ersetzt werden.
Die nächsten Schritte zielen auf die Integration des Modells in die klinische Praxis ab. Prospektive Studien sollen die individualisierte Risikoabschätzung validieren und deren Anwendung in der Therapieentscheidung sowie Patientenaufklärung fördern. Langfristig könnte das Modell auch die Zulassungslogik neuer Therapien verändern, indem es die Grundlage für eine präzisere, patientenzentrierte Medizin schafft.
Original Paper:
AI-driven reclassification of multiple sclerosis progression | Nature Medicine
Redaktion: X-Press Journalistenbüro GbR
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