MHH-Forschungsprojekt entwickelt innovatives Vlies zur Muskelstimulation nach Nervenverletzungen

Ein interdisziplinäres Kooperationsprojekt der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) und der Leibniz Universität Hannover (LUH) erforscht eine neuartige Methode zur Stimulation von Muskeln nach schweren Nervenverletzungen. Unter der Leitung von Privatdozentin Dr. Doha Obed, Assistenzärztin an der MHH-Klinik für Plastische, Ästhetische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, entwickelt das Forschungsteam ein piezoelektrisches Faservlies, das unter die Haut implantiert wird und gelähmte Muskeln durch ein magnetisches Feld stimuliert. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert das Vorhaben über drei Jahre mit rund 800.000 Euro.

Schwere Verletzungen durch Unfälle, Amputationen oder tiefe Schnitte können Nervenfasern in Armen, Beinen oder im schlimmsten Fall im Rückenmark schädigen. Besonders betroffen sind die Nervengeflechte der Extremitäten, die Signale von Spinalnerven bündeln. Sind diese durchtrennt, kommt es zu Empfindungsstörungen und Muskellähmungen, da die elektrischen Signale die Muskeln nicht mehr erreichen. Während einfache Nervenverletzungen operativ repariert werden können, dauert die Regeneration der Nervenfasern oft Monate, was zu dauerhaften Muskelfunktionsverlusten führen kann. Bestehende Methoden wie die Funktionelle Elektrostimulation (FES) mit auf der Haut angebrachten Elektroden oder implantierte Systeme sind begrenzt wirksam und bergen Risiken wie Infektionen oder technische Störungen.
Das Forschungsteam setzt auf einen innovativen Ansatz: Ein hauchdünnes, stabiles Faservlies aus Polyvinylidenfluorid (PVDF), einem thermoplastischen Fluorkunststoff, wird am Institut für Mehrphasenprozesse der LUH entwickelt. Dieses piezoelektrische Vlies verformt sich unter Einwirkung eines externen magnetischen Feldes und erzeugt so einen elektrischen Strom, der den gelähmten Muskel direkt stimuliert. Das Vlies soll leicht implantierbar sein und eine stabile, infektionsresistente Alternative zu herkömmlichen Systemen bieten. Die Aktivierung des Vlieses könnte durch ein handliches Gerät erfolgen, das wie eine Mini-Magnetresonanztomographie funktioniert.
Aktuell arbeiten die Forschenden an der Optimierung des Systems, insbesondere an der kabellosen Messung der erzeugten Spannung im Muskel. Dafür entwickeln Ingenieure der LUH Mikrochips als Messsonden, die ebenfalls unter die Haut implantiert werden. In einem nächsten Schritt soll das System im Tiermodell getestet werden. Bei Erfolg könnte das Vlies nicht nur bei Nervenverletzungen, sondern auch zur Muskelstimulation nach Schlaganfällen eingesetzt werden.
Das Projekt verbindet medizinische und ingenieurwissenschaftliche Expertise, um die Lebensqualität von Patienten mit Muskellähmungen nach Nervenverletzungen nachhaltig zu verbessern. Die Förderung durch die DFG unterstreicht die hohe wissenschaftliche Relevanz und das Innovationspotenzial dieses Ansatzes.
Redaktion: X-Press Journalistenbüro GbR
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