Bürokratie behindert Patientenversorgung nach der Entlassung aus dem Krankenhaus

von | Okt 15, 2024 | Allgemein, Gesundheit, Politik

Einer von drei Patienten erhält nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus nicht unmittelbar die benötigten Medikamente, weil Unklarheiten bürokratischer Natur bestehen. Dies ist das Ergebnis einer Untersuchung des Landeszentrums Gesundheit NRW, das rund 15.000 sogenannte Entlassrezepte analysierte.

Es ist nicht garantiert, dass jeder Patient, der aus dem Krankenhaus entlassen wird, auch sofort die notwendigen Medikamente erhält. (Credits: pixabay)
Es ist nicht garantiert, dass jeder Patient, der aus dem Krankenhaus entlassen wird, auch sofort die notwendigen Medikamente erhält. (Credits: pixabay)

Neben den üblichen Vorgaben gemäß Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) beruhen die sogenannten Entlassrezepte aus dem Krankenhaus auf den Rahmenvereinbarungen zwischen Kostenträgern und Leistungserbringern. Sie müssen strengen formellen Details genügen, wie z.B. der Angabe der Betriebsstättennummer, lebenslanger Arztnummer, Statusziffer und Facharztbezeichnung. Fehlen diese, entsprechen sie nicht den exakten Vorgaben oder unterscheiden sich die Angaben, muss die Apotheke den jeweiligen Mangel noch vor der Versorgung des Patienten aufdecken und korrigieren. Da sie dies in den meisten Fällen nicht ohne Zutun des Arztes kann bzw. darf, wird oftmals eine Rücksprache mit dem Verordner nötig, obwohl diese inhaltlich für die Pharmakotherapie als solche gar nicht erforderlich wäre.

Simone Dirkmann, Mitarbeiterin der Fachgruppe Sozialpharmazie, beleuchtet die Hintergründe und erklärt, warum Betriebsstättennummern und Vorgaben zu Packungsgrößen die Hauptprobleme darstellen.

Für die Studie wählten die Amtsapotheker des nordrhein-westfälischen Gesundheitsdienstes (ÖGD NRW) ein zweistufiges Verfahren. Teilnehmende Apotheken sollten zunächst mithilfe eines Fragebogens über subjektive Probleme, die sie bei der Belieferung von Entlassrezepten retrospektiv über sechs Monate hinweg feststellen konnten, berichten. Aus diesen zuvor gesammelten Problemfeldern, die von knapp 685 Apotheken aus 31 (von 53) Kommunen mitgeteilt wurden, ist dann eine zweite Detailerhebung erstellt worden, anhand derer jedes in der Apotheke vorgelegte Entlassrezept geprüft und dokumentiert wurde. Es wurde also bei jedem eingehenden Entlassrezept festgehalten, ob und wenn ja, was für ein Problem vorlag. Diese Dokumentation erfolgte über weitere sechs Monate. Durch die Teilnahme von 345 nordrhein-westfälischen Apotheken an dieser zweiten Phase konnten 14228 Entlassverordnungen ausgewertet werden. Mit 28 Kreisen und kreisfreien Städten haben sich mehr als die Hälfte der Kommunen und fast jede zehnte Apotheke in NRW an dem sozialpharmazeutischen Projekt beteiligt.

Die Untersuchung zeigte, dass ein Drittel der Entlassverordnungen nicht direkt und problemlos geliefert werden, weil z.B. Unklarheiten bürokratischer Natur mit den Krankenhausärzten geklärt werden mussten. Jeder dritte Patient konnte folglich erst am nächsten Tag oder gar noch später mit seinen benötigten Arzneimitteln versorgt werden. Die Hauptprobleme waren Vorgaben zu reinen Formalitäten sowie zu den maximal zulässigen Verordnungsmengen.

Dicht gefolgt von Formfehlern sind nach Apothekenangaben Verordnungen nicht existenter oder nicht verfügbarer Packungsgrößen. Hintergrund: Im arzneimittelbezogenen Entlassmanagement dürfen Krankenhäuser gemäß Arzneimittel-Richtlinie des gemeinsamen Bundesausschusses (g-BA) i.V.m. § 39 Abs. 1a SGB V grundsätzlich nur eine Packung mit dem kleinsten Packungsgrößenkennzeichen gemäß sogenannter Packungsgrößenverordnung verordnen. Dies stellt alle Beteiligten vor große Hürden. Denn bei einer regelhaften Verordnung der kleinsten Normgröße muss davon ausgegangen werden, dass das betreffende Arzneimittel grundsätzlich auch durch einen Hersteller in dieser N1-Größe vertrieben wird. Zudem setzt es das Wissen des Verordners zu Marktlage und Packungsgrößeneinteilung voraus. Ist das eine oder andere nicht der Fall, kann keine direkte Patientenversorgung stattfinden. Sollte das Präparat von den zuletzt anhaltenden Lieferengpässen betroffen sein, führt auch dies schnell zu Verzögerungen. Gibt es nur die Option, eine größere Packung zu beliefern, bedarf dies wiederum einer ärztlichen Rezeptänderung, falls die zuständige Krankenkasse die Mehrabgabe überhaupt duldet. Nicht bei allen Kostenträgern ist es im Entlassmanagement möglich, vertragskonform auf größere Packungen auszuweichen.

Dirkmann betont, dass die Patienten auf diese Probleme keinerlei Einfluss hätten – erst recht nicht, wenn das E-Rezept flächendeckend umgesetzt ist und nur noch elektronisch verordnet wird. Solange auch das Entlassmanagement hiervon noch nicht betroffen ist, ist denkbar, dass ein Patient E-Rezepte auf der eGK gespeichert hat und zusätzlich Rezepte in Papierform erhält. Bei einer Krankenhausentlassung können Krankenhausärzte in bestimmten Fällen auch die benötigten Arzneimittelmengen mitgeben. Für den Laien seien diese Konstellationen nicht zu überblicken. Wenn der vertragliche Handlungsspielraum von Apotheken ausgeschöpft und die Kostenübernahme von Kassenrezepten nicht gesichert ist, habe der Patient im schlimmsten Fall nur die Option, das Arzneimittel selber zu zahlen, oder den Hausarzt um ein neues Rezept zu bitten. Beides birgt das Risiko, dass Patienten gänzlich auf ihre Arzneimittel verzichten, sodass Verzögerungen oder sogar Lücken in der Arzneimittelversorgung entstehen.

Leistungen müssten wirtschaftlich, aber eben auch im Sinne des Versicherten ausreichend und zweckmäßig sein, sagt Dirkmann – ein Spagat. “Konsequent und im Sinne einer schnellen Patientenversorgung wäre es daher, die detektierten Punkte nochmals zu verifizieren, um dann in gemeinsamer Runde tragbare Anpassungsmöglichkeiten zu prüfen. Das heißt, der Gesetzgeber, der das Entlassmanagement durch das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (2015) implementiert hat; ferner der Gemeinsame Bundesausschuss als höchstes Gremium der Selbstverwaltung zur Richtlinienerstellung; und abschließend all diejenigen Leistungserbringer, die die Machbarkeitsanalyse für ihren Versorgungsbereich vornehmen können, d.h. die verschreibenden Krankenhausärzte und die versorgenden Apotheker.”

Offenbar ist keine Lösung in Sicht, da sich die Selbstverwaltung auf keine Vertragsanpassung einigen konnte. Das Vorliegen von Rezepten mit nicht zu behebenden Formfehlern sei Dirkmann zufolge demnach ein reelles und – wie die Ergebnisse des Projekts zeigen – quantitativ nicht zu vernachlässigendes Problem.

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