Fortschritt in der Protonentherapie: Präzisere Planung senkt Risiken bei Hirntumoren

von | Mai 9, 2025 | Forschung, Gesundheit

Die Protonentherapie gilt als besonders gewebeschonende Methode zur Behandlung von Hirntumoren, da sie Tumore präzise bestrahlt und gesundes Gewebe schont. Doch ihre hohe Präzision birgt Herausforderungen: Die biologische Wirksamkeit der Protonenstrahlen variiert je nach Gewebebeschaffenheit und Tumorlage, was das Risiko für Nebenwirkungen erhöhen kann. Forschende des Nationalen Zentrums für Strahlenforschung in der Onkologie (OncoRay) in Dresden, einer Kooperation des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf, der Medizinischen Fakultät der TU Dresden und des Universitätsklinikums Dresden, haben nun Methoden entwickelt, um diese Risiken besser abzuschätzen und durch optimierte Planungsverfahren signifikant zu reduzieren.

Die Behandlung bösartiger Hirntumore erfolgt meist durch Bestrahlung oder eine Kombination aus Operation und Strahlentherapie, wobei Protonen- oder Photonenstrahlen zum Einsatz kommen. Die relative biologische Wirksamkeit (RBW) gibt an, wie stark Protonen im Vergleich zu Photonen biologisches Gewebe schädigen. Bisher wird in der klinischen Praxis ein pauschaler RBW-Wert von 1,1 verwendet, was Protonen als zehn Prozent wirksamer einstuft. Neuere Studien zeigen jedoch, dass die tatsächliche Wirkung lokal deutlich höher sein kann, insbesondere am Strahlenende, wo Protonen ihre Energie abrupt abgeben. Dies gefährdet empfindliche Strukturen wie Sehnerven oder gesundes Hirngewebe besonders stark. Eine pauschale Annahme der Wirksamkeit kann die Belastung für gesundes Gewebe unterschätzen und das Nebenwirkungsrisiko erhöhen.

Martina Palkowitsch sagt den Behandlungserfolg der Strahlentherapie mit Methoden der statistischen Modellierung voraus. Die von ihr erstellten Grafiken identifizieren Regionen im Gehirn, die für das Auftreten von Nebenwirkungen besonders gefährdet sind. | Quelle: Michael Kretzschmar
Martina Palkowitsch sagt den Behandlungserfolg der Strahlentherapie mit Methoden der statistischen Modellierung voraus. Die von ihr erstellten Grafiken identifizieren Regionen im Gehirn, die für das Auftreten von Nebenwirkungen besonders gefährdet sind. | Quelle: Michael Kretzschmar 

Das OncoRay-Team unter der Leitung von Prof. Steffen Löck analysierte die Behandlungsdaten von 105 Patientinnen und Patienten mit Hirntumoren, die zwischen 2015 und 2022 an der Universitäts Protonen Therapie Dresden behandelt wurden. Mithilfe computergestützter Simulationen berechneten die Forschenden die Wahrscheinlichkeit für 16 typische Nebenwirkungen, darunter Sehstörungen, hormonelle Dysfunktionen, Hörverlust und Gedächtniseinschränkungen, unter Berücksichtigung einer variablen RBW. Die Ergebnisse zeigten, dass in etwa einem Drittel der Fälle das Risiko für Nebenwirkungen unterschätzt wurde, wenn die variable Wirksamkeit ignoriert wurde. Besonders gefährdet waren Patientinnen und Patienten mit Tumoren nahe an empfindlichen Organen, großen Bestrahlungsfeldern, höherem Alter oder begleitender Chemotherapie.

Um die Risiken zu senken, entwickelte das Team zwei innovative Ansätze zur Bestrahlungsplanung, die die variable RBW berücksichtigen. Diese zielen darauf ab, die Strahlenanteile mit maximaler Energieabgabe von empfindlichen Gewebestrukturen fernzuhalten, ohne die therapeutische Wirkung im Tumor zu beeinträchtigen. An sechs Patientenfällen, darunter fünf mit erhöhtem Risiko, wurden die neuen Pläne getestet und mit den ursprünglichen klinischen Plänen verglichen. Das Ergebnis: In den gefährdetsten Organen konnte das Nebenwirkungsrisiko im Schnitt um etwa 30 Prozent reduziert werden, bei gleichbleibender Tumordosis.

Für die klinische Anwendung schlagen die Forschenden vor, die optimierte Planung gezielt bei Patientinnen und Patienten mit hohem Risiko einzusetzen. Ein entwickeltes Vorhersagemodell, das auf Tumorabstand zu Risikoorganen und herkömmlichen Dosiskennwerten basiert, erleichtert die Auswahl geeigneter Fälle. Die Methode soll nun weiterentwickelt werden, um eine effiziente Integration in die klinische Praxis zu ermöglichen. Klinische Studien sollen die Sicherheit und Wirksamkeit der Ansätze bestätigen, um die Vorteile der Protonentherapie noch stärker für eine Reduktion von Nebenwirkungen zu nutzen.

Eine weitere Studie des OncoRay-Teams fand internationale Anerkennung. Anhand von Nachsorge-MRTs von über 150 Patientinnen und Patienten mit Hirntumoren untersuchten die Forschenden strahleninduzierte Veränderungen im gesunden Hirngewebe nach Protonen- und Photonentherapie. Die Analyse bestätigte, dass eine variable RBW die Vorhersage solcher Schäden verbessert, und identifizierte eine erhöhte Strahlenempfindlichkeit rund um die Hirnventrikel. Diese Arbeit wurde von der Europäischen Gesellschaft für Radiotherapie und Onkologie (ESTRO) mit dem Best Paper Award im Bereich Physik ausgezeichnet, den Martina Palkowitsch, Doktorandin und Erstautorin, am 5. Mai 2025 in Wien entgegennahm. Die Ergebnisse markieren einen wichtigen Schritt hin zu einer personalisierten Protonentherapie, die die Behandlung von Hirntumoren sicherer und effektiver gestaltet.

Originalpublikationen:

M. Palkowitsch, L.-M. Kaufmann, F. Hennings, S. Menkel, C. Hahn, J. Bensberg, A. Lühr, A. Seidlitz, E. G. C. Troost, M. Krause, S. Löck: Variable-RBE-induced NTCP predictions for various side-effects following proton therapy for brain tumors – Identification of high-risk patients and risk mitigation, in Radiotherapy and Oncology, 2024. (DOI: 10.1016/j.radonc.2024.110590)

M. Palkowitsch, L. S. Kilian, F. Hennings, A. Lühr, J. Thiem, A. Seidlitz, E. G. C. Troost, M. Krause, S. Löck: Predictive modelling of contrast-enhancing brain lesion risk after proton or photon radiotherapy [Conference presentation abstract], in ESTRO 2025 Abstract Book (p. 3804). European Society for Radiotherapy and Oncology, 2025. (https://user-swndwmf.cld.bz/ESTRO-2025-Abstract-Book/3804).


Redaktion: X-Press Journalistenbüro GbR

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